Die Blutgabe - Roman
ist nicht der geeignete Ort, um zu schlafen«, sagte er, und seine Stimme klang seltsam ausdruckslos dabei. »Merk dir das fürs nächste Mal.«
Kris war verblüfft. Hatte er richtig gehört? Ein
nächstes Mal
? »Du wirfst mich nicht raus?«
Cedric rieb sich über die Stirn und lächelte müde. »Nein. Im Gegenteil. Ich werde in Zukunft sehr genau darauf achten, dass du pünktlich zur Arbeit erscheinst. Und nicht nur das. Sid wird dich nicht mehr nur im Auge behalten – er wird jeden einzelnen deiner Handgriffe verfolgen und mir berichten.Keine Streuner mehr, keine irregulären Versuchsobjekte, keine geheimen Übereinkünfte mit Katherine oder anderen Mitarbeitern. Habe ich mich klar ausgedrückt?«
Kris konnte nur nicken. Er wusste nicht, was er davon halten sollte. So schnell sollte das Gespräch also zu Ende sein? Keine weiteren Fragen, die ihn in Bedrängnis brachten? Warum tat Cedric das? Glaubte er, auf diese Weise mehr Informationen über die
Bloodstalkers
erhalten zu können? Und wenn ja – was hatte er mit diesen Informationen vor?
Zu spät bemerkte Kris die feinen Finger, die seine Gedanken abtasteten. Erschrocken biss er sich auf die Zunge, um durch den Schmerz seine Gedankenströme zu unterbrechen.
Cedrics Lächeln verzerrte sich zu einer gequälten Grimasse. »Denk über das nach, was ich dir vor ein paar Tagen gesagt habe. Mein Angebot besteht auch weiterhin. Solltest du irgendwann das Bedürfnis haben, mir etwas mitzuteilen, bist du in meinem Büro herzlich willkommen. Und vielleicht möchtest du mir dann auch eines Tages erklären, warum ein
Bloodstalker
nun schon das zweite progressive Mädchen zu retten versucht.«
Kris zuckte zusammen. Doch Cedric schnaufte nur verächtlich.
»Keine Sorge. Ich werde dieser Sache in nächster Zeit nicht weiter nachgehen. Aber du solltest wissen, dass Janet möglicherweise bald zu mir kommen wird. Sie könnte mich bitten, ihre Erinnerung wiederherzustellen, wie ich es bei Katherine tue. Ich dachte, du könntest wollen, dass ich die Wahrheit über gewisse Zufälle schon vorher erfahre.«
Kris glaubte, nicht mehr atmen zu können. »Ich werde … sicher darauf zurückkommen«, brachte er mühsam hervor.
Cedric nickte ernst. »Das freut mich. Aber jetzt sieh besserzu, dass du nach Hause kommst. Ich meine mich zu erinnern, dir Urlaub gegeben zu haben. Davon abgesehen lohnt es sich wohl kaum, heute noch etwas anzufangen.«
Unwillkürlich wanderte Kris’ Blick zu der Uhr über der Tür. Viertel nach vier. Der Morgen war nicht mehr fern.
»Nein«, murmelte er ergeben. »Wohl nicht.«
Cedric schob die Hände in die Taschen seines Kittels und wandte sich ab. »Dann wünsche ich einen entspannten Tag.«
Die Tür schloss sich mit einem Zischen.
Eine Weile noch blieb Kris wie festgewachsen an Ort und Stelle stehen. Er fühlte sich wie erschlagen. Nach Hause. Ja, langsam sollte er wirklich nach Insomniac Mansion zurückkehren. In sein Zimmer, wo er mit etwas Glück ungestört über all das nachdenken konnte, was in der letzten Nacht geschehen war.
Und wo zum ersten Mal seit Jahren eine wahre Quelle auf ihn wartete.
Red September. Kris’ Magen kribbelte. Hatte Cedric ihn bereits in seinen Gedanken gesehen? Und wenn ja, was mochte er darüber denken? Was wusste der Doktor wirklich über die
Bloodstalkers
?
Es war gleichgültig, entschied Kris. Zumindest für den Moment. Beinahe hätte er über sich selbst gelacht. Er war so dumm gewesen. Wie hatte er auch nur eine Sekunde lang glauben können, dass er Cedric auf lange Sicht etwas vormachen konnte? Bei Licht betrachtet hatte Kris allen Grund, ihm dankbar zu sein. Jeder andere hätte ihn mit Sicherheit an das Parlament ausgeliefert. Der Doktor aber hatte ihn nicht einmal auf die Straße gesetzt, obwohl das sein gutes Recht gewesen wäre. Und vermutlich hatte er damit eine äußerst kluge Entscheidung getroffen.
Während er das Labor verließ und sich von der Schutzkleidung befreite, klangen Célestes Worte in Kris’ Erinnerung wieder.
»Denkt mein kleiner Bruder etwa niemals daran, sich auf die Seite des verehrungswürdigen Dr. Edwards zu schlagen?«
Nachdenklich betrachtete er seine Hände. Die Handgelenke mit den Narben, die Gregors Ketten hinterlassen hatten. Narben, denen er niemals ganz zu heilen gestattete, damit er nicht vergaß. Sich auf Cedrics Seite zu schlagen … möglicherweise lohnte es sich tatsächlich. Seine Schwester hatte eindrücklich bewiesen, dass sie seine Loyalität nicht länger
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