Die Blutgabe - Roman
Cedric schließlich wie beiläufig, als er spürte, dass seine junge Freundin einer Explosion nahe war.
Ruckartig wandte Katherine sich zu ihm um, doch Cedric gab vor, weiterhin ganz von der Beobachtung des Experiments in Anspruch genommen zu sein.
»Schick ihn weg, Cedric!« Katherines Stimme zitterte. »Er wird uns eines Tages alle umbringen!«
Cedric hob überrascht die Brauen. Sicher, Katherine sprach unüberlegt. Sie als progressive Vampirin hatte Kris’ Kraftausbruch ohne Zweifel noch viel stärker getroffen als Cedric selbst. Trotzdem konnte er nicht anders, als über die Leidenschaft in ihren Worten ein wenig erschrocken zu sein. Obwohl er sie doch so gut kannte, hatte er nicht geahnt, dass ihre Angst vor Kris so tief saß. Sie alle umbringen? Nein, das glaubte Cedric nicht. Und er musste sich sehr in Acht nehmen, dass er an dieser Stelle kein vorschnelles Urteil über Krisfällte, nur weil ihm die Furcht in Katherines Worten so nahe ging. Er wollte unbedingt vermeiden, dass sie sich unwohl fühlte. Aber er konnte das nicht über den Fortschritt stellen. Dazu war ihr Projekt zu wichtig.
»Verzweifelte Vampire waren schon immer die besten Wissenschaftler«, sagte er daher nur und verschränkte die Arme vor der Brust.
Katherine starrte ihn verständnislos an. »Was meinst du?«
Jetzt endlich wandte Cedric ihr den Blick zu. »Du musst doch gesehen haben, wie verzweifelt er ist. Oder nicht?«
Zwischen Katherines Brauen erschien eine steile Falte. »Hast du etwa Mitleid mit ihm?«
Cedric seufzte und sah wieder durch die Scheibe. Der Bluter saugte noch immer am Hals seines Opfers. Er ging sehr ungeschickt dabei vor. Immer wieder glitt er ab und war selbst schon über und über mit Blut beschmiert – dem des Mädchens ebenso wie seinem eigenen.
»Kein Mitleid«, erwiderte er ruhig. »Verständnis, das ist alles. Sieh mich an.«
Katherine schüttelte ärgerlich den Kopf. »Ich verstehe dich nicht, Cedric.«
Er konnte ihrer Stimme anhören, dass sie sich von seiner Zurückweisung verletzt fühlte. Cedric rieb sich angestrengt über die Stirn. Wie sollte er ihr seine Position nur begreiflich machen? Er versuchte es mit einem Lächeln.
»Ohne ein gewisses Maß an Verzweiflung ist es einfach nicht möglich, vernünftige Wissenschaft zu betreiben.« Er warf einen vielsagenden Blick auf den Vampir hinter der Scheibe. »Nichts ist der Kreativität förderlicher als Leid, das man mit Fassung und Würde erträgt – das habe ich in den letzten vier Jahrhunderten gelernt.«
Cedric wusste, dass sich ein zynischer Unterton in seine Stimme geschlichen hatte, der Katherine nicht gefallen würde. Aber unterdrücken konnte er ihn auch nicht. Er hatte doch wirklich genug Schwierigkeiten. Warum konnte nicht wenigstens innerhalb seiner Forschungsgruppe Frieden herrschen? »Aber glücklicherweise brauche ich mir keine Sorgen zu machen, dass mir das Leid jemals ausgehen könnte.«
Der Bluter hatte sein Mahl beendet. Für längere Gespräche war nun keine Zeit mehr. Cedric drückte auf den Knopf, der Janet herbeirufen würde. Janet, deren Aufgabe es war, den infizierten Menschen zu töten, bevor die Verwandlung zum Unsterblichen abgeschlossen war. »Du musst das so sehen – Beethoven hat auch keine Schmerzmittel genommen, trotz seiner Bleivergiftung. Ich sage nur: Freude, schöner Götterfunken.«
Katherine schwieg. Cedric ahnte, dass sie noch mehr Argumente hatte – die vorzubringen sie sich aber aus irgendeinem Grund nicht traute. Er legte eine Hand auf ihre Schulter. Sie so zu drängen machte ihm keinen Spaß. Aber es half alles nichts, er musste dieser Sache auf den Grund gehen.
»Was war mit dem Menschen, Katherine?«
Sie wandte den Kopf und sah ihn aus großen Augen an. Cedric erkannte sofort, dass er den wunden Punkt getroffen hatte. Also hatte sie davon gewusst. Und ihm wohlweislich nichts davon erzählt.
»Er … die 159 …« Katherine errötete und senkte den Kopf, um Cedrics Blick auszuweichen. »Kris … ich … wir hielten es für besser, wenn sie nicht ausschließlich von Konserven ernährt wird.« Ihre Stimme war zu einem belegten Flüstern gesunken, als wage sie kaum, die Worte auszusprechen.
Cedric runzelte finster die Stirn. Also hatten sie und Krisvereinbart, in der Stadt nach Menschen für die Nr. 159 zu jagen. Da war es in der Tat klug von ihnen gewesen, ihn nicht einzuweihen. Jagen in freier Wildbahn war bei Strafe verboten, und Cedric hätte es niemals zugelassen. Nicht, solange die Gefahr
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