Die Blutgabe - Roman
Licht«, sagte Claire von der Tür her und knipste demonstrativ einen Schalter an und wieder aus. »Das Bad ist am Ende des Flurs. Wenn du fertig bist, kannst du dir in der Küche was zu Essen holen. Ist gleich der Raum rechts neben der Treppe im Erdgeschoss.«
Red wandte sich zu ihr um.
»Danke«, sagte er und fühlte sich in diesem Moment tatsächlich unendlich dankbar. Nichts war hier wie auf der Farm. Aber jetzt, wo er in diesem Raum stand, der sein eigener werden sollte, hatte er zumindest das Gefühl, dass es nicht ganz so schlimm werden würde, wie er befürchtet hatte.
Die Fältchen um Claires Augen vertieften sich.
»Keine Ursache. Wir sehen uns später.«
Mit diesen Worten zog sie die Tür hinter sich zu, und Red war einmal mehr allein. Aber immerhin fühlte er sich in diesem Augenblick nicht mehr ganz so verloren.
Kapitel Fünf
Insomniac Mansion, Kenneth, Missouri
»Ich frage mich, wie die Menschen dort draußen sind. Wie sie leben und was sie essen. Und ob sie sehr viel anders sind als wir.«
Schon während er die Treppe ins Erdgeschoss hinunterging, hörte Red das leise Klappern von Geschirr und roch den Duft von frischem Kaffee. Sein leerer Magen begann zu grollen, und er beschleunigte seine Schritte. Erst, als er direkt vor der Tür stand, hielt er inne.
Er würde jetzt nicht in die Kantine auf der Farm gehen, wurde ihm schlagartig bewusst. Dies hier war eine fremde Küche. Und da drin war jemand.
Vielleicht Claire.
Vielleicht aber auch jemand ganz anderes.
Red schluckte nervös. Claire war freundlich zu ihm gewesen. Aber wenn es nun nicht Claire war – was sollte er dann sagen?
Guten Morgen, vermutlich.
Und dann?
Essen. Dann würde er essen.
Er drückte die Klinke herunter und betrat die Küche.
Ein Mann stand neben der Kaffeemaschine an die Arbeitsplatte gelehnt. In der Hand hielt er einen dampfenden Becher, und neben ihm stand ein Brett mit einem seltsam gelben, dicken Pfannkuchen darauf. Die dunklen Haare des Mannes hingen so weit in sein Gesicht, dass sie ihm wie ein wirrer Vorhang über die Augen fielen. Er mochte Mitte zwanzig sein, hatte scharfe Wangenknochen und eine vorspringendeNase, die einen leichten Knick aufwies, als sei sie schon einmal gebrochen gewesen. Die hellblauen Augen hinter dem Haarvorhang wirkten stechend und musterten Red eindringlich.
»Guten Morgen«, sagte Red.
Der Mann zog einen Mundwinkel nach oben. Red war sich nicht sicher, ob es ein Lächeln hatte sein sollen.
»Ich bin Red September 38.07«, fügte er schnell hinzu.
Der Mann nahm die Information mit einem knappen Nicken zur Kenntnis.
»Chase«, sagte er, und sein Tonfall machte augenblicklich klar, dass er darüber hinaus nicht an einer Unterhaltung interessiert war.
Red schluckte nervös. Das also war Chase. Der Mann, dessen Kleider er trug. Erneut versuchte Red, sich an ihre Begegnung in der Nacht zu erinnern, aber vergeblich. Er sah nur Célestes Augen vor sich.
»Ich … also, Claire hat gesagt, ich könnte hier frühstücken.«
Chase nahm ein Stück Pfannkuchen von seinem Brett und schob es sich gemächlich in den Mund.
»Klar«, sagte er, als er gekaut und geschluckt hatte, ohne Red dabei aus den Augen zu lassen. Er machte eine unbestimmte Handbewegung in Richtung des Küchentischs. »Kannst du.«
Unsicher trat Red näher an den Tisch heran. Tatsächlich standen mehrere Schüsseln darauf – aber ein Frühstück wie dieses hatte Red noch nie gesehen. Auf der Farm hatte es eine große Auswahl von Brot mit verschiedenen Belägen gegeben, dazu Eierkuchen, Müsli, Joghurt, Obst und Gemüse.
Hier hingegen gab es nur die gelben Pfannkuchen, dazu mehrere Sorten Marmelade, eine Kanne Kaffee und eine Schüssel mit Aprikosen. Milch konnte Red auch keine entdecken. Dabei mochte er Kaffee nur mit viel Milch.
Chase beobachtete ihn immer noch.
Zögernd nahm Red eine Tasse und ein Frühstücksbrett. Vielleicht sollte er besser später wiederkommen? Dieser Blick machte ihn nervös. So würde er keinen Bissen hinunter bringen. Obwohl sich sein Magen schon vor Hunger verknotete, war Red kurz davor, den Raum fluchtartig zu verlassen.
In diesem Moment öffnete sich jedoch die Tür, und eine junge Frau betrat die Küche. »Guten Morgen zusa …«
Verdutzt blieb sie stehen und musterte Red erstaunt.
»Oh, na so was. Guten Morgen! Bist du der Neue?« Sie machte einen energischen Schritt auf ihn zu und streckte ihm die Hand entgegen. »Ich bin Sarah.«
Red schluckte trocken und schloss seine Finger
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