Die Blutgabe - Roman
nicht benennen kann. Und es macht mir Angst. Ständig muss ich an die Worte des Dorfältesten denken. Böse Geister, die von Menschen Besitz ergreifen. Ist vielleicht doch etwas Wahres an dieser Geschichte? Möglicherweise bin ich inzwischen paranoid, aber ich habe den Eindruck, dass sich auch in meinem Körper etwas verändert. Dass ich empfindsamer werde für Berührungsreize. Oft kann ich das Gefühl der Tropfen auf meiner Haut kaum noch ertragen. Ich schlafe auch wieder in meinem eigenen Zelt und bin froh, es für mich allein zu haben. Und ständig dieser Hunger, selbst während ich esse. Nichts scheint meinen Magen füllen zu können. Vielleicht habe ich mir am Ende doch einen Parasiten eingefangen.
Eine gute Nachricht gibt es aber. Obwohl ich persönlich keine Veränderung unserer Umgebung feststellen kann, meint Angél, wir wären nun wieder in ihm bekanntem Gebiet. Morgen
im Lauf des Tages werden wir die Feldstation erreichen. Ich kann es gar nicht mehr erwarten, zurück in die Zivilisation zu kommen. Ich muss einen Arzt aufsuchen. Nicht, dass ich meine Lieben noch mit etwas anstecke, das ich aus dem Dschungel eingeschleppt habe. Aber dann wird mich nichts mehr davon abhalten, auf schnellstem Weg zurück in die USA zu fliegen.
Ach, meine Jody. Mein Jim. Bald bin ich daheim. Und dann wird alles wieder gut.
10. März 2010
Genau einen Monat – auf den Tag vier Wochen – ist es her, dass ich meinen ersten Eintrag in dieses Buch verfasst habe. Und dieser hier wird nun mein letzter sein. Morgen früh fliegen wir zurück nach Lima. Und von dort aus nach Hause. Ich bin heilfroh darüber.
Jetzt, wo wir hier sind, kann ich gar nicht mehr glauben, dass ich mich bei unserer Ankunft so abgeschnitten vom Rest der Welt gefühlt habe. Verglichen mit unseren Erlebnissen der letzten Wochen erscheint mir die Feldstation wie eine blühende Insel der Zivilisation. Ich wage gar nicht daran zu denken, wie groß der Kulturschock sein wird, wenn wir erst in Lima oder später dann zurück in Kenneth sind. Aber ich freue mich darauf.
Der Arzt der Station hat uns alle untersucht und nichts feststellen können. Wir sind gesund, soweit er das beurteilen kann. Er rät uns aber, in Lima noch einen Bluttest machen zu lassen. Zur Sicherheit. Sogar einen Termin hat er uns besorgt. Denn das Satellitentelefon funktioniert nun wieder ohne Probleme, auch wenn manchmal leichte Störungen in der Verbindung sind. Heute Nachmittag habe ich endlich wieder mit Jim telefonieren
können. Wie froh ich war, seine Stimme zu hören! Nur noch zwei Tage, bis ich ihn wiedersehe. Und er muss wirklich nicht befürchten, dass ich noch einmal so lange fortgehe. Von meiner Abenteuerlust bin ich gründlich geheilt. Endgültig, wie ich glaube.
Vorerst bin ich aber einfach nur glücklich und zufrieden, mich heute Abend in ein trockenes, sauberes Bett kuscheln zu können. Und so schließe ich dieses Tagebuch mit einem denkbar abgedroschenen Satz:
Ende gut, alles gut.
11. März 2010
Nachtrag: Auch der Bluttest in Lima hat keinerlei bedenkliche Ergebnisse geliefert. Die einzige Auffälligkeit ist ein ungewöhnlich hoher Anteil an Leukozyten. Bei allen von uns. Aber der Arzt sagte, das sei vermutlich eine Abwehrreaktion des Körpers auf die vielen Mückenstiche, was mir recht plausibel erscheint. 102 Stiche habe ich bei mir heute Abend gezählt, und das sind nicht einmal alle! Auf unbestimmte Weise macht mich dieses Ergebnis dennoch unruhig. Aber ich versuche, mir nicht zu viele Sorgen darum zu machen. An erster Stelle steht jetzt die Vorfreude auf Daheim. Und die will ich mir durch nichts verderben lassen.
20. März 2010
Ich muss mein Tagebuch noch einmal zur Hand nehmen. Ich weiß einfach nicht, wem ich mich sonst anvertrauen soll.
Etwas geschieht mit mir. Ich bin mir jetzt ganz sicher. Ich habe nun mehr als eine Woche lang versucht, es zu verdrängen. Aber als ich heute Morgen in den Spiegel geschaut habe – da waren meine Augen gelb. Nicht von einem Tag auf den anderen,
nein. Ich hatte bereits seit einiger Zeit den Eindruck, dass meine Iris ihre Farbe ändert, aber ich habe es immer auf das Licht geschoben. Jetzt jedoch ist die Veränderung so weit fortgeschritten, dass ich mich nicht mehr selbst belügen kann. In meiner Angst, Jim könnte etwas bemerken, habe ich mir eben in der Stadt farbige Kontaktlinsen besorgt. Vermutlich ist es dumm, zu glauben, dass ich ihn so auf Dauer täuschen kann. Er ahnt etwas, da bin ich mir sicher. Allein die
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