Die Blutgabe - Roman
Kanüle. Zischend wurde die Flüssigkeitin die Spritze gesaugt. Kris ballte die linke Faust, bis die Venen an seinem Unterarm dick hervortraten. Dann stach er die Nadel in seine Haut.
»Der Wirkstoff verteilt sich sehr schnell im Körper«, erklärte er, während er das leere Probenröhrchen und die Spritze zurück in die Kiste legte und stattdessen ein Messer herausnahm. »Daher ist die Wirkung beinahe sofort zu sehen.«
Noch einmal sah Kris von einem zum anderen. Dann drückte er die Klinge tief in das Fleisch seines Unterarms. Dunkelrotes Blut quoll in Stößen hervor, als er die Hauptschlagader traf.
Wie gebannt blickten Céleste, Hannah und Tony auf die Wunde.
»Schließ sie«, sagte Céleste, als das Blut zu Boden tropfte.
Kris lächelte schmal. »Ich kann nicht. Du wirst mit den Flecken auf deinen Dielen leben müssen.«
Er sah auf das unbearbeitete Holz hinunter, das gierig das Blut aufsaugte.
Célestes Augen weiteten sich. Doch noch immer strahlte ihre Iris.
»Ich muss zugeben, Kris – ich bin beeindruckt.«
Tony brummte. Er fühlte sich sichtlich unwohl.
Kris nickte ihm zu. »Ich habe mir diesmal nur eine kleine Dosis verabreicht. Und da mein Körper konservativ ist, fällt es ihm leicht, das blockierte Relacin neu zu bilden. Die Wirkung ist daher nur von kurzer Dauer.« Er hielt demonstrativ den Arm hoch, an dem sich die Wunde langsam wieder schloss. »Aber ihr solltet euch jetzt einigermaßen vorstellen können, wie das BRA auf Bluter wirken wird.«
Die anderen Vampire nickten. Kris nahm den Kasten vom Boden und reichte ihn an Hannah weiter. »Das sollte genugsein für einen Testlauf.« Er zwinkerte ihr kurz zu. Sie war aufgewühlt, er konnte es sehen – und sie brannte darauf, den Wirkstoff an sich selbst auszuprobieren. »Wenn du soweit bist, können wir die ersten Patronen von den Jägern im Training einsetzen lassen. Und wenn das gut läuft, stellst du mehr davon her. Was denkst du?«
Hannah nickte. »Klingt nach ‘ner Spitzenidee. Ich denke, ich könnte in drei, vier Tagen soweit sein.« Ihre Stimme schwankte. Aber ihre Augen leuchteten.
Kris wandte sich zu Céleste um. »Ist das auch in deinem Sinne?«
Seine Schwester antwortete nicht sofort. Aber ihr Lächeln sprach Bände. Mit langsamen Schritten kam sie näher, bis sie dicht vor ihm stand. Dann legte sie zärtlich die Arme um seine Brust und zog ihn an sich.
»Ich bin so stolz auf dich, kleiner Bruder«, flüsterte sie.
Ein Kloß bildete sich in Kris’ Kehle und erschwerte ihm das Atmen. Es tat weh. Er hatte immer gewollt, dass sie stolz auf ihn war. Vor einem Jahr noch hätte er alles dafür getan.
Aber er war nicht mehr ihr kleiner Bruder.
Es war vorbei. Er war erwachsen geworden. Er hatte ihren Verrat erkannt.
Zögernd legte er eine Hand auf Célestes Schulter. »Danke«, murmelte er und spürte ihre Finger sanft seinen Rücken streicheln. Sie war überzeugt, ihn wieder ganz auf ihrer Seite zu haben.
Auch Kris lächelte nun.
Aber es schmeckte bitter.
Ein paar Tage später saß er verborgen in einem der Bäume am Rand des Sandplatzes. Der Himmel hatte sich zugezogen,und dicke Tropfen fielen dicht an dicht aus den düsteren Wolken. Dort unten lief Red im Team mit Chase über den Parcours. Er war schnell wie nie zuvor. Er würde eine Bestzeit laufen.
Kris starrte mit leerem Blick auf den Platz, ohne den Lauf aufmerksam zu verfolgen.
Es war soweit, dachte er. Red war soweit. Noch ein paar Monate ernsthaftes Training draußen in der Stadt. Dann wäre er so stark, wie Kris ihn sich immer gewünscht hatte.
Und auch stark genug, dass Céleste sich über kurz oder lang wieder für ihn interessieren würde.
Kris musste bald handeln. Er musste Red zu Blue bringen und sie als seinen letzten Trumpf ausspielen. Red musste sich endgültig für ihn entscheiden, noch bevor Kris seinen Plan in die Tat umsetzte.
Das Problem daran war nur: Blue war nicht bereit.
Vielleicht würde sie es niemals sein. Aber noch hatte Kris die Hoffnung nicht aufgegeben, dass sie zumindest ein wenig zu ihrem alten Selbst zurückfinden würde. Ihre Erinnerung war verloren. Aber ihr Charakter musste doch noch vorhanden sein.
Kris seufzte.
Er musste Red die Wahrheit sagen.
Oder wenigstens einen Teil davon.
Und hoffen, dass Red ihm trotz allem weiterhin die Treue hielt.
Kapitel Neunzehn
Forschungsstation White Chapel, Kenneth, Missouri
Im Eifer des Gefechts mit dem Parlament rasten die Wochen nur so dahin. Cedric kam es vor, als wäre kaum
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