Die Blutgabe - Roman
ein Tag vergangen, seit sich die ersten Blätter herbstlich rot gefärbt hatten, als auch schon der erste Schnee fiel. Sowohl er als auch Pei Lin und Kris hatten alle Hände voll zu tun, die erforderlichen Unterlagen und Informationen zusammenzutragen, die das Ministerium immer wieder anforderte. Ganz gleich, wie viele Antwortschreiben sie verfassten, ganz gleich, wie gewissenhaft sie arbeiteten – jedes Mal fehlte am Ende doch noch etwas, oder ein anderer Stein wurde ihnen in den Weg gelegt. Nach mehr als zwei Monaten schließlich glaubte Cedric manchmal schon nicht mehr daran, jemals die Genehmigung für die Tests zu erhalten. In seinem Kopf ging er Tag für Tag Hunderte von Möglichkeiten durch, wie er die Experimente bei einer Absage dennoch fortführen könnte, ohne zu einem wirklich befriedigenden Ergebnis zu kommen. Und jedes Mal, wenn ein weiterer Tag des Grübelns ohne fruchtbare Einfälle oder eine endgültige Zusage vergangen war, war Cedric ein Stückchen näher am Rand der totalen Verzweiflung.
Doch dann, am Abend eines sonnigen Wintertages, war es schließlich soweit. In der Post, die ihm Pei Lin brachte, befand sich zwischen Rechnungen und Werbung ein großer Umschlag mit dem gefürchteten Logo des Ministeriums.
Darin eine Kopiervorlage für Versuchsprotokolle. Und ein kurzer Brief.
New York, 13. Dezember 2256
Sehr geehrter Dr. Edwards,
haben Sie vielen Dank für Ihr letztes Schreiben. Wir freuen uns, Ihnen mitteilen zu können, dass wir nun alle erforderlichen Unterlagen geprüft haben, und erteilen Ihnen hiermit die Genehmigung, Experimente am konservativen Versuchsobjekt durchzuführen. Zu diesem Zweck wird der Parlamentsbeschluss Nr. 03 vom 29. August 2055 zum Verbot der Erschaffung neuer Vampire auch für Konservative bedingt außer Kraft gesetzt. Dieses Schreiben gilt in der Hinsicht als rechtskräftiges Dokument.
Wir möchten Sie dennoch noch einmal explizit darauf hinweisen, dass die Regelungen für die Weitergabe konservativen Blutes gemäß Überlieferung aufgrund der Sonderregelung in Ihrem speziellen Falle wieder Gültigkeit erlangen. Es ist also darauf zu achten, dass ausschließlich mit Menschen gearbeitet wird, die das so genannte »Wahre Blut« besitzen. Jegliche Missachtung dieser Regel werden wir strafrechtlich ahnden.
Wir wünschen Ihnen und Ihrem Team viel Erfolg bei Ihrer weiteren Arbeit.
Mit freundlichen Grüßen,
Jeffrey Hanson
Referat für Forschungsförderung
Cedric ließ den Brief sinken und sah zu Pei Lin, die ganz entgegen ihrer Art an diesem Tag nicht den Raum verlassen hatte, um ihn in Ruhe seine Post lesen zu lassen. Ihr Gesichtzeigte einen Ausdruck der Ungeduld, der bei der stoischen Chinesin fast fehl am Platz wirkte.
Ein triumphierendes Lächeln kitzelte in Cedrics Mundwinkeln. Er würde sie nicht länger auf die Folter spannen.
»Pei Lin«, sagte er, »sei so gut – berufe für heute um Mitternacht eine Mitarbeiterversammlung ein. Ich möchte unser Versuchsprotokoll noch einmal besprechen.«
Die Augen seiner Assistentin leuchteten auf. Cedric hielt Mr. Hansons Schreiben in die Höhe. »Wir haben die Genehmigung.«
Ein strahlendes Lächeln erschien auf Pei Lins Gesicht. »O Cedric, das ist großartig! Ich freue mich!«
Cedric lachte still. »Ja, das denke ich mir. Das hat ja nun auch wirklich genug Zeit und Nerven gekostet. Gute Arbeit, Pei Lin. Wirklich gute Arbeit.«
Pei Lin lächelte stolz. »Ich sage sofort den anderen Bescheid. Soll ich in die Stadt gehen und Süßblut besorgen? Dann können wir anstoßen.«
Cedric verkniff sich ein Grinsen. So viel Enthusiasmus an der sonst eher steifen Pei Lin zu sehen, war wirklich ein Anblick, der sich lohnte. »Ja bitte, tu das. Und wenn du schon unterwegs bist, kannst du auch gleich neue Briefumschläge mitbringen.«
Pei Lin nickte. »Natürlich, gern. Ich mache mich gleich auf den Weg. Bis später, Cedric.«
Eilig griff sie nach der Türklinke.
Cedric lächelte. »Bis später.«
Die Tür schloss sich hinter seiner Assistentin. Cedric lehnte sich in seinem Stuhl zurück und las den Brief noch einmal.
Die Genehmigung, schwarz auf weiß.
Endlich.
Sein Herz fühlte sich nun um Zentner erleichtert an als noch wenige Stunden zuvor. Nun musste er nur noch geeignete Menschen finden. Vor einigen Monaten noch hätte er das als knifflige Aufgabe bezeichnet. Inzwischen aber hatte er eine recht genaue Vorstellung davon, wer ihm dabei behilflich sein konnte.
Cedric sah auf die Uhr. Drei Minuten
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