Die Blutgabe - Roman
Gedanke zerriss ihm das Herz in winzige Teile.
Er brauchte Hilfe.
Und zwar schnell.
Kapitel Sieben
Insomniac Mansion, Kenneth, Missouri
»Wer bist du? - Du blutest ja.«
Mit geschlossenen Augen saß Kris auf dem Sofa in seinem Zimmer und starrte in die Dunkelheit jenseits seiner Lider.
In seinem Schoß hielt er eine Blutkonserve. Ihre Wärme floss über die Haut an seinen Beinen und seinen Händen. Und obwohl die Sommersonne draußen hoch am Himmel stand und die Luft in dem kleinen Raum trotz geschlossener Vorhänge brütend heiß war, ließ Kris sie liegen, wo sie war.
Er war müde. Und ihm war kalt. Aber er war zu hungrig, um zu schlafen, und er konnte sich nicht überwinden, die Blutkonserve zu trinken oder seine Quelle zu rufen.
Nicht, nachdem er heute zum ersten Mal Red September gesehen hatte.
Der Mensch aus der OASIS.
Gerade als Kris gedacht hatte, alle Mühe wäre vergeblich gewesen, war er hier aufgetaucht. Einfach so.
Er war nicht das Mädchen, das er sich gewünscht hatte. Aber …
Ein Kribbeln zog durch Kris’ Magen, als er an den Jungen dachte, wie er an diesem Morgen vor ihm gestanden hatte – die Waffe noch in der Hand und voller Angst um die Unsterblichen, die er tot geglaubt hatte.
Konnte es sein? War es möglich, dass auch er Wahres Blut hatte?
Kris hielt die Augen geschlossen und sah die Szene immer wieder vor sich, betrachtete jedes Detail und jede Regung in dem jungen Gesicht.
Red September.
Kein Zweifel. Sein Wille war stark. Aber was bedeutete das für sein Blut?
Um das herauszufinden, würde er trinken müssen.
Als ein fremder Gedanke zart seinen Geist berührte und um Einlass fragte, schreckte Kris auf.
Er bat sie nicht herein. Das war bei ihr nicht nötig. Nur einen Augenblick später füllte Céleste den Raum mit ihrer Anwesenheit. Ihre durchscheinende Haut schimmerte. Ihre Augen glühten. Als sie sich neben ihn auf die Sofakante sinken ließ, konnte Kris den Schweiß und das Blut zweier Menschen an ihr riechen.
Chase.
Und
jemand anderes
.
Hatte sie etwa …?
Kris richtete sich auf. Speichel sammelte sich in seinem Mund.
Kein Zweifel. Er erkannte den Geruch wieder. Sie hatte es getan. Sie hatte ihre eigenen Regeln verletzt und noch vor der offiziellen Prüfung von Red September getrunken.
Kris’ Magen zog sich kribbelnd zusammen.
Célestes Lächeln schwebte leicht durch den Raum wie eine Daunenfeder.
»Du hattest recht.«
Ihre Lippen bewegten sich kaum. Ihre Stimme durchdrang die Stille, ohne sie zu brechen.
»Verzeih mir. Es hat sich gelohnt, in die OASIS einzudringen.«Ihr Lächeln vertiefte sich. Ihre Augen schlossen sich kurz, wie in einer süßen Erinnerung.
»Er ist wundervoll, mein Lieber. Er hat Wahres Blut. Und er ist von unserem Stamm.«
Von ihrem Stamm. Von
seinem
Stamm. Kris starrte Céleste wortlos an, kaum fähig, zu begreifen, was sie sagte.
Das war besser. Viel besser als das Mädchen.
Nicht für die
Bloodstalkers
. Aber für ihn.
»Wann wirst du ihn aufnehmen?« Seine Stimme bebte. Er konnte es nicht verhindern.
Céleste lachte. Kein Laut kam dabei über ihre Lippen, und doch vibrierte jede Faser in Kris’ Körper in dem hellen Klang. Ihre Hand strich liebevoll über seine Wange.
»Mach dir darum keine Sorgen. Du solltest Geduld lernen.«
Kalt.
Trotz der Wärme ihrer Haut und ihrer Stimme war sie kalt. Kris spürte, wie es einem Eiswürfel gleich seinen Nacken hinabglitt.
Céleste zwinkerte ihm zu. Lächelte noch immer. Aber da war ein Missklang in ihrem Lied, der Kris die Kehle zuschnürte.
»Du hast mich mit diesem Menschen sehr glücklich gemacht.«
Heimtücke.
Entgeistert starrte er sie an, als er begriff, was sie plante.
»Nein.« Seine Stimme kratzte rau in seinem Hals. »
Nein.
Bitte …«
Er würde betteln. Er würde flehen und sich demütigen, wenn er das musste. Er
brauchte
diesen Jungen! So viel hatte er dafür riskiert, war an Bluthunden und Elitewächternvorbei in die OASIS eingedrungen, um einen Menschen mit Wahrem Blut zu finden. Sie konnte ihm Red September nicht wegnehmen wollen. Nicht schon wieder …
Aber Céleste lächelte nur immer weiter. Zart legten sich ihre Lippen auf seine Stirn.
»Geduld. Und keine Sorge, mein Herz. Morgen Abend ist er einer von uns.«
Sie erhob sich. Ein letztes stummes Lachen brachte die Luft zum Klingen. Federleicht strich ihre Hand über Kris’ Wange. »Deine Konserve wird kalt, mein Bester.«
Und wie ein kühler Windhauch war sie aus dem Zimmer verschwunden.
Mit aller
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