Die Blutgabe - Roman
Gedanke, bevor er einschlief.
Kapitel Dreizehn
Babel Tower Shopping Center, Kenneth, Missouri
»Du kannst mein Blut nehmen. Es macht mir nichts aus.«
Sie trafen sich auf dem höchsten Dach der Stadt, weil Céleste sie dort nicht hören konnte.
Es waren die Minuten vor der Dämmerung, bevor die Menschen zu ihren Einsätzen aufbrachen und auch die Arbeit der Vampire begann. Eine kurze Zusammenkunft im schwindenden Tageslicht, weniger zu konspirativen Zwecken als viel mehr zur Entspannung der Gedanken, die sie in den Mauern von Insomniac Mansion so strikt unter Kontrolle halten mussten.
Sie alle schätzten diese vertrauten Momente.
»Du verheimlichst uns was.« Hannah sprach nicht laut, und die Worte wurden ihr vom aufkommenden Nachtwind schnell von den Lippen gefegt. Doch die Anklage war deutlich in ihrer Stimme zu hören. Und auch Tony hatte die Brauen missbilligend gesenkt.
Kris sah schweigend an seinen Freunden vorbei auf den letzten blassgelben Streifen am Horizont. Es hatte einige Zeit gedauert, bis Hannah und Tony ihn bei ihren privaten Treffen geduldet hatten. Bei aller Freundschaft hatte seine Verbindung zu Céleste sie stets abgeschreckt – und er hatte es ihnen nicht verübeln können. Hätte Hannah nicht so energisch für ihn gesprochen, vielleicht hätte Tony ihn niemals akzeptiert. Mittlerweile aber wussten sie alle, dass Kris ein Geheimnis für sich behalten konnte.
Auch heute konnte er das.
Selbst wenn es schwerfiel.
»Warum sagst du nicht einfach, was los ist?« Hannah war ernsthaft wütend. Er erkannte es an der Art, wie sie ihre Hände öffnete und schloss, als wollte sie die stickige Abendluft darin zerquetschen. Es verletzte sie tief, dass er ihr seine Sorgen nicht anvertraute. Kris wusste das, und es tat ihm leid. Er kannte Hannah schon seit der Zeit, in der sie beide noch sterblich gewesen waren. Sie hatten zusammen im Krieg gekämpft. Sie hatte sein Vertrauen verdient. Und schließlich vertraute sie ihm auch.
Aber nicht, wenn es um Céleste ging. Céleste hatte schon immer zwischen ihnen gestanden.
Kris lächelte schwach und gab ihr eine Antwort, von der er wusste, dass sie sie hassen würde. »Wann habe ich das zum letzten Mal getan? Kannst du dich daran erinnern?«
Hannah zischte ärgerlich und kam einen Schritt näher. »Aber wir könnten dir vielleicht helfen!«
Tony legte ihr die Hand auf die Schulter. Seine Fänge leuchteten in dem dunklen Gesicht auf, als er verächtlich die Zähne fletschte. »Lass ihn, Hannah. Ist sicher eine
Familien angelegenheit
.«
Kris spürte, wie sein Lächeln verblasste. Wenn Tony nur gewusst hätte, wie recht er mit seiner Vermutung hatte …
Kris’ Familie, zu der auch Red September gehörte, und Chase als Quelle von Céleste ebenso – wenn Tony gewusst hätte, dass Kris plante, diese Familie zu zerschlagen, was hätte er dann wohl getan?
Kris schüttelte den Kopf.
Er wollte es lieber nicht wissen.
»Ich kann es euch nicht sagen«, erklärte er so ruhig wiemöglich und unterdrückte dabei seine Gabe, so gut es eben ging. Er wollte nicht, dass sie glaubten, er versuche sie zu beeinflussen.
Tony stieß ein scharfes Knurren aus, und unwillkürlich ballte sich Kris’ Hand in der Hosentasche zur Faust. Sicher war es beleidigend, zu behaupten, jemand wie der riesige Vampir könne sich nicht gegen Célestes Kräfte wehren. Aber Kris hatte oft genug beobachtet, dass genau das der Fall war.
»Ihr werdet es bald sehen«, versprach er leise und bemühte sich, die Drohung zu ignorieren, die in Tonys Kehle grollte. »Aber bitte überlasst mir die Entscheidung, wann es soweit ist.«
Niemand antwortete mehr. Doch der Vorwurf hing noch immer in der Luft zwischen ihnen.
Kris atmete tief durch. Seine Freunde zu belügen war ihm nichts Neues. Neu war nur, dass er sich schlecht dabei fühlte. Und dass sie es diesmal bemerkt hatten. Vielleicht, weil es sie in diesem Fall sehr wohl etwas anging. Weil die Ereignisse in diesem Fall auch sie treffen würden. Sowohl Tony als auch Hannah hatten Céleste Gefolgschaft geschworen. Und auch wenn dieser Schwur unter dem Einfluss der Vampirin stattgefunden hatte, waren die Verhältnisse damit von Anfang an vollkommen klar.
Wenn Kris Céleste den Rücken kehrte, würden sie auf ihrer Seite stehen.
Deswegen konnte er sie nicht einweihen. Heute nicht und auch nicht später. Und sie wussten es.
»Wir sollten uns auf den Weg machen«, schlug Kris vor, als keiner mehr Anstalten machte, noch etwas zu dem Thema zu
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