Die Blutgabe - Roman
schärfer erscheinen. Die Linien, die seine Züge zeichneten, waren feiner, der dunkle Blick klarer und tiefer, als Red es je bei einem Menschen gesehen hatte.
Es gibt keinen Grund, Angst zu haben
, sagten die Augen.
Red atmete tief durch.
»Aber bevor wir zum Wesentlichen kommen, würde ich gern noch einige organisatorische Dinge mit dir klären.« Kris ließ sich neben Red in die Polster sinken und griff nach einem Rucksack, der neben dem Sofa gestanden hatte. Behutsam legte er ihn in Reds Schoß.
»Das ist für dich. Deine Grundausrüstung. Da drin sind ein Revolver, ein Halfter und ein Patronengürtel. Noch gehst du nicht auf Außeneinsätze, aber wenn es soweit ist, wirst du diese Dinge brauchen. Außerdem findest du unten in deinem Schrank neue Kleidung – Jeans, Shirts, Pullover, Jacken, Schuhe. Alles, was nötig ist. Wenn du außerdem etwas brauchst, kannst du mich jederzeit danach fragen. In Ordnung?«
Red nickte nur. Er war vollkommen überwältigt. Ein eigener Revolver … Seine Finger krampften sich fest in den groben Stoff des Rucksacks.
Damit konnte er sie retten.
Ein Lächeln huschte über Kris’ Gesicht.
»Das reguläre Training findet vormittags von zehn bis zwölf Uhr statt«, fuhr er fort. »Du und ich werden uns dann am Nachmittag wiedertreffen. Von Freitag bis Sonntag ist kein Training. Und du wirst sehen, dass du diese Zeit zur Regeneration brauchst.« Er zwinkerte Red zu.
»Hast du noch Fragen?«
Red schüttelte den Kopf. Unter seinen Fingern konnte er durch den Stoff das kalte Metall der Waffe spüren.
Sein eigener Revolver, wiederholte er in Gedanken.
»Gut.« Kris legte eine Hand auf Reds Schulter. Sein Daumen streifte Reds Hals. »Dann kommen wir jetzt zum angenehmen Teil, einverstanden?«
Augenblicklich schoss Red das Blut in die Wangen. Während ihres Gesprächs hatte er tatsächlich vergessen, warum Kris ihn eigentlich gerufen hatte.
Der Vampir hatte versprochen, es würde nicht schlimm werden. Angst hatte Red trotzdem. Er konnte es nicht abstreiten.
Und Kris wusste es. Verstand es. Red sah es in seinen Augen. Er nickte schwach.
Kris lächelte sanft. Ein Schleier legte sich über seine Iris, und die Luft um ihn schien zu zittern, als er sprach.
»Wie ist es dir lieber? Am Hals oder am Handgelenk?«
»Am Hals«, murmelte Red, aber es kam nur als gebrochenes Flüstern heraus. Unbehaglich spürte er, wie seine Glieder langsam schlaff wurden und ihm die Kontrolle über seinen Körper verloren ging.
Kris’ Hand glitt in seinen Nacken. Die Finger waren kühl und glatt an Reds Haut. Red schloss die Augen und fühlte die Haare des Vampirs seine Wange streifen. Es war sicher leichter, wenn es dunkel war, dachte er.
Keine Angst.
Kris würde ihm nichts tun.
Den Stich der Zähne spürte Red kaum. Warme, weiche Schwärze floss in ihn hinein und breitete sich in seinem Körper aus, füllte ihn mit unendlicher Ruhe. Die Zeit entglitt ihm und verlor an Bedeutung, bis sie in der Ewigkeit verschwand. Nah an seinem schlug das Herz des Vampirs, langsam und kraftvoll im Gleichtakt mit seinem eigenen. Red bemerkte nicht einmal, als es vorbei war. Er hätte nicht sagen können, wann Kris aufgehört hatte zu trinken oder wie lange schon er einfach nur so dagesessen hatte, den Kopf an die Schulter des Vampirs gelehnt, der ihn fest an sich gedrückt hielt, als wolle er ihn nie wieder loslassen.
Erst viel später tat er es doch.
Red schwankte im Sitzen und sank gegen die Sofalehne. Vorbei? Das war alles? Mehr nicht?
»Danke«, flüsterte eine Stimme dicht an seinem Ohr.
Polster raschelten. Etwas bewegte sich.
Red wurde von kräftigen Armen gepackt und mühelos in die Höhe gehoben. Nun konnte er Kris’ Herzschlag wieder spüren. Allerdings schien er nun viel weiter entfernt.
Verschwommen nahm er wahr, dass der Vampir ihn die Treppe hinunter und die Galerie entlang trug.
Dann wurde er behutsam in sein Bett gelegt und zugedeckt.
»Bis morgen«, sagte Kris leise. Seine Hand strich leicht über Reds Wange und Hals bis zu seinem Schlüsselbein.
Und viel schneller, als er reagieren konnte, war der Vampir wieder verschwunden und das Zimmer leer, bis auf Red selbst, der sich in diesem Moment kaum in der Lage fühlte, auch nur Realität von Traum zu unterscheiden.
Doch auf seinem Bauch lag der Rucksack mit dem Revolver.
Eine kleine Ewigkeit blieb Red reglos liegen, bevor er sich auf die Seite rollte und den Rucksack an seine Brust presste.
Seinen eigenen Revolver.
Das war sein letzter
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