Die Blutgabe - Roman
fort, »dass die Rekrutierung neuer Mitglieder für die
Bloodstalkers
hier in den USA nicht unser primäres Ziel sein kann – so von Blutern verseucht, wie dieses Land nun leider ist. Diese Aufgabe fällt viel mehr unseren Brüdern und Schwestern in Europa zu, wo es noch deutlich mehr Menschen mit Wahrem Blut gibt. Aber gerade deshalb ist es umso wichtiger, dass wir den richtigen Zeitpunkt abwarten, bevor einer unserer kostbaren Menschen zum Vampir wird. Wir dürfen nichts überstürzen. Wir müssen uns absolut sicher sein, dass ihr Blut auf dem Höhepunkt seiner Kraft ist. Wie viel Potential würden wir sonst verschenken? Das begreift ihr doch, nicht wahr?«
Tony und Hannah nickten. Und auch Kris senkte ergeben den Kopf. Es gab keinen Raum mehr für Widerspruch in ihm. Er hatte ihr zu lange zugehört. Außerdem war es viel zu schwül. Und viel zu hell. Er wollte nur, dass dieses Gespräch endlich vorbei war.
Céleste schloss kurz die Augen. »Gut.« Ihr Atem ließ ihre Lippen erzittern. Selbst für sie war es anstrengend, ihren Einfluss so lange aufrechtzuerhalten, dachte Kris mit bitterer Befriedigung. Hannah und er waren keine Kinder mehr.
»Konzentrieren wir uns also auf das, was
unsere
Aufgabe ist. Machen wir Fortschritte in der Waffenentwicklung?« Céleste hob die Lider. Ihr Blick richtete sich auf Hannah.
Das Mädchen zog die schmalen Schultern nach oben, als könne sie sich dazwischen verstecken. »Also … ich habe die neuen Revolver ein ganzes Ende leichter hingekriegt als die alten.« Ihre Stimme klang brüchig und viel weniger forsch, als es sonst ihre Art war. »Ich komme bloß mit der Nachlademechanik nicht weiter. Am liebsten will ich so was machen wie das Halbautomatik-System, das es im einundzwanzigsten Jahrhundert gab. Aber man bekommt nirgends mehr vernünftige Informationen darüber …«
»Natürlich nicht.« Céleste lächelte nachsichtig, und Hannah entspannte sich sofort. »Das liegt alles sicher unter Verschluss beim Parlament. Aber dir wird schon etwas einfallen, davon bin ich überzeugt.«
Kris hörte nicht weiter zu. Es interessierte ihn nicht, wenn Hannah und Céleste über Waffen und Konstruktionsmechanik sprachen. Hannah hatte die Gabe der Anorganischen Manipulation. Sie war diejenige, die Metall, Glas und Stein mit den Händen formen und ihrem Willen gefügig machenkonnte. Und sie war auch diejenige, die all die Mechanik durchschaute, die es brauchte, um effiziente Ausrüstung für die Jäger zu bauen. Kris verstand davon nichts. Ihm war es genug, zu wissen, wie man eine Waffe abfeuerte.
Erst als die Stimmen verklangen und er Célestes Blick auf sich fühlte, kehrte seine Aufmerksamkeit in das Turmzimmer zurück. Endlich. Nun konnte die Sitzung nicht mehr all zu lange dauern.
»Was gibt es bei dir Neues, Kris?« Céleste betrachtete ihn aufmerksam.
»Gib mir noch einen Monat.«
Er lächelte schief, als sie überrascht die Brauen hob. Er hatte gewusst, dass es sie beeindrucken würde. Bei aller Überlegenheit war sie in mancher Hinsicht doch berechenbar. »Dann sollte ich soweit sein.«
»Tatsächlich so bald? Das sind hervorragende Neuigkeiten. Dann werden wir wohl dieses Jahr nicht mit leeren Händen nach Paris kommen.«
Kris schüttelte den Kopf. »Ganz sicher nicht. Das kann ich dir versprechen.«
Ein zufriedenes Funkeln war in Célestes Augen getreten. »Großartig. Wirklich großartig. Ich bin sehr gespannt.«
Sie sah in die Runde. »Von meiner Seite aus wäre das dann alles. Gibt es sonst noch etwas, das wir besprechen müssen?«
Schweigen antwortete ihr. Nur das nahende Grollen des Gewitters und die Wolken, die langsam die Sonne verdunkelten, sprachen eine deutliche Sprache.
Céleste nickte. »Dann ist es höchste Zeit, dass wir uns unsere wohlverdiente Ruhe gönnen. Wir werden in einem Monat wieder zusammenkommen. Ich danke euch.«
Kris atmete innerlich auf. Endlich hinaus aus der Hitze.Aus der drückenden Luft. Und fort von Célestes erstickender Präsenz.
Nacheinander stiegen die Vampire die Wendeltreppe in den zweiten Stock hinab.
Doch erst als sich schon die Tür zu Kris’ Zimmer hinter ihm geschlossen hatte und er das Fenster weit aufriss, verschwand auch der letzte Druck, der auf seiner Brust gelastet hatte.
Immerhin. Es hätte schlimmer laufen können.
Und egal wie die Umstände waren, eines zumindest konnte ihm vorerst niemand mehr nehmen.
Dort unten im Garten war Red September.
Und heute würde Kris ihn zum ersten Mal zu sich rufen.
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