Die Blutgabe - Roman
Regeln zur Erschaffung neuer Vampire außer Kraft gesetzt hatten, um ihre Zahl konkurrenzfähig zu der explosionsartig wachsenden Population der Progressiven zu halten.
Aber Cedric glaubte keine Sekunde daran, dass Kris einer von diesen dünnblutigen Vampiren war. Kaum hundert Jahre alt. So jung noch – und schon so mächtig.
Kris lächelte, als wüsste er genau, was in Cedrics Kopf vorging. »Ich sollte wohl dazu sagen, dass mein Mentor sehr froh war, mich gefunden zu haben. Und dass trotz allem meine Geburt eher traditionell verlaufen ist«, gab er zu. »Ich glaube zwar nicht, dass Gregor mir eine ernsthafte Chance gegeben hätte, hätte ich sein Angebot abgelehnt. Aber das wäre mir auch nie in den Sinn gekommen. Es hat mich schon immer gereizt, das Unmögliche möglich zu machen.« Erlachte leise, als Cedric ihn fragend ansah. »Du kannst dir sicher vorstellen, dass die Unsterblichkeit für einen Biochemiestudenten im zweiundzwanzigsten Jahrhundert eine der größten Unmöglichkeiten überhaupt war.«
Cedric nickte. Das konnte er sich tatsächlich vorstellen. Schließlich war zu dieser Zeit das Versteckspiel, das die Vampire seit Äonen mit den Menschen gespielt hatten, sozusagen über Nacht in sich zusammengebrochen. Und dennoch – etwas an Kris’ Worten machte ihn nachdenklich. Gregor … Der Name klang in Cedrics Kopf nach und hinterließ das eigenartige Gefühl, dass er ihm etwas hätte sagen müssen. Gab es unter den Alten, die er kannte, einen Gregor? In Europa vielleicht? Oder im alten Konsulat von Kenneth – bevor das World Parliament die Macht übernommen hatte? Möglich. Aber er war sich nicht sicher. Und ein Gesicht konnte er erst recht nicht mit dem Namen verbinden.
Cedric gab es auf. Grübeln war ja doch zwecklos, wenn das Gehirn erst einmal blockierte.
»Ich frage auch nur«, sagte er und stand auf, »weil ich den Eindruck habe, dass du in letzter Zeit recht blass aussiehst. Trinkst du nicht genug?«
Kris warf ihm einen überraschten Blick zu. Dann runzelte er die Stirn. »Nun … ja. Das wäre möglich. Während der Arbeit im Labor ist mir die Zeit meist zu schade dazu.«
»Und am Tag? Bevor du schlafen gehst, zum Beispiel?« Cedric öffnete eine Truhe, die in den Schatten der hinteren Zimmerhälfte verborgen stand, und zog zwei Blutkonserven daraus hervor. »Oder schläfst du etwa auch nicht?«
Kris zögerte mit der Antwort, während seine dunklen Augen jede von Cedrics Bewegungen genau verfolgten. Vermutlichahnte er, worauf dieses Gespräch hinauslaufen würde. Aber das war Cedric nur recht. Er war ein großer Freund offener Worte – und es kümmerte ihn wenig, dass Kris das höchstwahrscheinlich keineswegs so empfand.
»Tja … um ehrlich zu sein … nein. Und nein. Ich brauche nicht viel Schlaf. Und das Blut … nun ja. Es schmeckt mir nicht so recht. Zu dünn und – das Plastik und die Chemie machen sich zu stark bemerkbar, findest du nicht?«
Cedric ließ den Deckel der Truhe wieder zufallen. »Die Unvernunft der Jugend«, bemerkte er sarkastisch, während er sich wieder auf seinen Stuhl setzte und eine der Konserven zu Kris hinüberschob. »Dir wird wohl klar sein, dass du eine Weiterentwicklung deiner Blutgabe aufs Spiel setzt.«
Die Furchen auf Kris’ Stirn vertieften sich zu finsteren Schluchten.
Natürlich war es ihm klar, dachte Cedric. Genau wie die Tatsache, dass bei einem so jungen Vampir mit unzureichender Blutaufnahme und Schlafmangel ein gewisser Kontrollverlust einherging, was die Gabe betraf. Und er konnte sich mit hoher Wahrscheinlichkeit spätestens jetzt denken, dass Cedric das Thema nicht grundlos zur Sprache gebracht hatte. Nun – umso besser.
»Um es ganz klar zu sagen«, fuhr er fort und griff nach seiner Konserve, »möchte ich dich dringend bitten, in Zukunft mehr auf regelmäßige Nahrungsaufnahme und geregelte Ruhezeiten zu achten. Du weißt, wie sehr ich deine Arbeit schätze. Aber du wirst auch verstehen, dass ich einem Mitarbeiter mit einer Blutgabe wie deiner nicht erlauben kann, nachlässig damit umzugehen.« Er sah Kris vielsagend an.
Doch der erwiderte nur schweigend seinen Blick. Ganz langsam, als würde eine winzige Hand über seine Haut streichen,glätteten sich die Falten auf der Stirn des jungen Vampirs.
Schon wieder diese Dunkelheit
, dachte Cedric.
Ich wüsste wirklich gern, was in deinem Kopf vorgeht, Kris Saturnine. Und ich hoffe sehr, dass du mir keinen Grund gibst, es mit Gewalt herauszufinden.
Endlich griff Kris mit einer
Weitere Kostenlose Bücher