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Die Blutgraefin

Die Blutgraefin

Titel: Die Blutgraefin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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er suchte kurz
nach Worten. »Seine Familie hatte einen gewissen Einfluss«, sagte er
schließlich.
»Ihr meint, sie hatten hier das Sagen«, brachte es Abu Dun auf den
Punkt.
Lorenz antwortete nicht gleich, sondern sah den Nubier eine kleine
Ewigkeit lang mit undurchdringlicher Miene an, bevor er seinen Becher mit einer übertrieben präzisen Bewegung auf den Tisch stellte
und sich dann an Andrej wandte.
»Wer seid Ihr, Andrej Delãny?«, fragte er. »Was seid Ihr?«
»Was meint Ihr, Vater?«, fragte Andrej verständnislos zurück.
»Für die Menschen hier bin ich allenfalls ein Bruder, kein Vater«,
seufzte Lorenz. »Und ich fürchte, nicht einmal dazu reicht es wirklich.« Ein wehleidiger Ausdruck erschien flüchtig auf seinem Gesicht. Dann straffte er die Schultern und fragte Andrej erneut mit
fester Stimme: »Was seid Ihr? Ihr und Euer Freund - Ihr seid keine
Reisenden, die irgendwo ihr Glück machen wollen.«
»Das haben wir nie behauptet«, widersprach Andrej.
»Ihr seid Söldner«, behauptete Lorenz.
»Und wenn wir es wären?«, fragte Abu Dun, noch bevor Andrej
etwas sagen konnte.
»Dann würde ich Euch fragen, wie teuer Eure Schwerter sind…
und Eure Loyalität«, antwortete Lorenz.
»Unsere Schwerter sind teuer«, erwiderte Andrej. »Unsere Loyalität… ist nicht käuflich.«
Pater Lorenz blickte Andrej und Abu Dun lange nachdenklich an
und schwieg. Andrej sah, wie es hinter seiner Stirn arbeitete.
»Wie viel verlangt Ihr?«, fragte er, als er endlich zu einer Entscheidung gelangt war.
»Was genau wollt Ihr von uns?«, gab Andrej zurück.
»Ich will, dass Ihr die Wahrheit herausfindet«, antwortete Lorenz.
»Mehr nicht.«
»Manchmal ist die Wahrheit nicht das, was die Menschen hören
wollen«, sagte Andrej.
»Und manchmal kommt einen die Wahrheit teurer zu stehen, als einem lieb ist«, fügte Abu Dun ernst hinzu.
    Ohne ihm zu sagen wohin und zu welchem Zweck, verschwand
Abu Dun und blieb auch einige Zeit verschwunden. Andrej bereitete
sich innerlich darauf vor, den Rest des Tages neben einem qualmenden Kamm und in Gesellschaft eines allmählich abkühlenden Bechers Glühwein zuzubringen.
    Doch der Wirt hielt Wort und führte ihn in ein kleines Zimmer, in
dem es zwei richtige Betten gab. Dass der Wirt sich seiner auf diese
Weise entledigen wollte, um weiteren unangenehmen Fragen aus
dem Weg zu gehen, war Andrej klar.
    Vielleicht war es das Beste, wenn er eine Weile allein war, um über
die Geschehnisse der vergangenen Tage und sein zukünftiges Vorgehen nachzudenken. Möglicherweise war es gar nicht Abu Dun, der
sich verändert hatte, sondern er. Auch der Gedanke, ein paar Stunden
in einem richtigen Bett zu schlafen, ohne zu frieren, erschien ihm
paradiesisch. Er litt noch immer unter Kopfschmerzen, und seine
Glieder waren plötzlich so schwer, dass er sich sofort auf das Bett
fallen ließ. Dort verharrte er eine geraume Weile mit offenen Augen,
starrte die Decke über sich an und spürte seinen körperlichen Regungen nach. Noch immer war es ungewohnt und erschreckend für ihn,
ein Unwohlsein zu verspüren. Er war nicht wie Pater Lorenz oder all
die anderen, mit denen er unten im Schankraum gesessen hatte. Seine
veränderte Existenzform verhinderte, dass er ein Opfer von Krankheit oder Schwäche wurde.
    Jedenfalls war das vor den Ereignissen in Wien so gewesen.
Andrej war in Wien nicht nur auf Frederic und die Schatten seiner
eigenen Vergangenheit gestoßen. Er hatte etwas von dort mitgebracht, etwas, was ihm immer noch zu schaffen machte: Er war verwundbar geworden und fürchtete, dass das Gift, mit dem Frederic ihn
infiziert hatte, immer noch wirkte. Breiteneck hatte Abu Dun und
ihm zwar versichert, dass sie wieder vollkommen gesund seien, aber
das konnte nicht stimmen. Seit sie die Stadt an der Donau verlassen
hatten, waren Abu Dun und er immer wieder Opfer von Müdigkeit,
Erschöpfung und Entkräftung geworden.
Mit diesem beunruhigenden Gedanken schlief er ein und wachte
erst wieder auf, als jemand mit Fäusten gegen die Tür hämmerte und
seinen Namen rief. Andrej fuhr hoch, griff instinktiv nach seinem
Schwert und hatte es bereits halb aus der Scheide gezogen, bevor
ihm klar wurde, dass das vermeintliche Hämmern an der Tür ein eher
zaghaftes Klopfen war, und dass, wer immer draußen auf dem Flur
stand, seinen Namen gerade laut genug sprach, um sicherzugehen,
dass Andrej ihn hören konnte. Auch das war neu: Es hatte ihm früher
niemals Mühe bereitet,

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