Die Blutgraefin
riesenhaften Nubier noch zierlicher und zerbrechlicher
wirkte.
Der Wirt hatte das versprochene Essen gebracht - das gar nicht übel
war - sich dann aber hastig wieder zurückgezogen, noch bevor Andrej auch nur eine der Fragen stellen konnte, die ihm nach Blanches
Besuch auf der Zunge brannten. Andrej plante, dies bei nächster Gelegenheit nachzuholen. Der Mann hatte panische Angst vor Blanche
gehabt, und das kam ihm nach allem, was Lorenz und die anderen
Dorfbewohner erzählt hatten, reichlich sonderbar vor.
Abu Dun drehte sich um und musste einen nicht unbeträchtlichen
Teil seiner gewaltigen Körperkräfte aufwenden, um die Tür gegen
den Wind ins Schloss zu drücken. Sein Begleiter blieb zwei Schritte
vor Andrejs Tisch stehen, stampfte ein paar Mal mit den Füßen auf,
um den Schnee abzuschütteln, und schlug dann die Kapuze seines
zerschlissenen Mantels zurück. Der Begleiter entpuppte sich als eine
Begleiterin. Andrej blickte in das Gesicht eines dunkelhaarigen,
höchstens fünfzehnjährigen Mädchens, das sehr dünn war und verängstigt wirkte. Die Kälte hatte sein Gesicht gerötet, aber Andrej
erkannte trotzdem, dass es normalerweise von einer fast unnatürlichen Blässe sein musste.
Abu Dun war es endlich gelungen, die Tür zu schließen. Er drehte
sich schnaubend um. »Meine alten Knochen haben mich nicht getäuscht«, sagte er. »Das Wetter verschlechtert sich.«
Andrej deutete auf das Mädchen. »Wer ist das?«
»Marika«, antwortete Abu Dun. Er wies auf Andrej. »Das ist Andrej, von dem ich dir erzählt habe.«
Das Mädchen nickte knapp und zwang sogar ein schüchternes Lächeln auf seine Lippen, aber die Angst in ihren Augen war unverkennbar.
»Marika ist Janoschs Tochter«, fuhr Abu Dun fort. »Pater Lorenz
hat von ihr erzählt - du erinnerst dich? Sie stand eine Weile in Gräfin
Bertholds Diensten.«
»Auf dem Schloss?« Andrej bat Marika mit einer einladenden Geste, sich zu setzen, aber sie gehorchte erst, nachdem der Nubier mit
einem Nicken sein Einverständnis signalisiert hatte.
Abu Dun nahm sich ebenfalls einen Stuhl, langte ungefragt über
den Tisch und klaubte sich ein Stück Fleisch von Andrejs Teller.
»Ich dachte mir, es kann nicht schaden, wenn wir mit ihr reden«,
sagte er mit vollem Mund. »Genauer gesagt, du. Ich habe bereits mit
ihr gesprochen.«
Etwas am Anblick des begeistert kauenden Abu Dun irritierte Andrej. Es dauerte eine Weile, bis er begriff, dass es nicht die Art war, wie Abu Dun aß, sondern was.
»Schmeckt es gut?«, fragte Andrej.
»Ausgezeichnet«, erwiderte Abu Dun. »Warum?«
»Weil das Schweinebraten ist«, erklärte Andrej.
Abu Dun hörte kurz auf zu kauen. Dann schluckte er das Stück
Fleisch herunter und biss sofort noch einmal ab. »Wie dumm von
mir«, sagte er. »Wie konnte ich nur all diese Jahre auf einen solchen
Genuss verzichten.«
Andrej war fassungslos. Obwohl Abu Dun kein fanatischer Moslem
war, gab es gewisse Regeln, an die er sich strikt hielt.
Nachdenklich wandte Andrej sich an das Mädchen. »Dein Name ist
also Marika, und du hast in den Diensten der…«, beinahe hätte er der
Blutgräfin gesagt, »Gräfin Berthold gestanden?«
»Nur für vier Wochen, Herr«, antwortete sie fahrig. »Sie ist sehr
nett. Und außerordentlich großzügig.«
»Nur vier Wochen?«, erkundigte sich Andrej. »Warum nicht länger?«
Das Mädchen druckste einen Moment herum. »Ich… ich glaube,
sie war nicht besonders zufrieden mit mir«, erwiderte sie schließlich.
»Ich war ungeschickt und habe vieles falsch gemacht. Einmal habe
ich Geschirr zerbrochen.«
»Und daraufhin hat sie dich davongejagt«, vermutete Andrej.
»Oh nein, wo denkt Ihr hin?« Marika schüttelte heftig den Kopf.
»Sie war wirklich sehr großzügig. Sie hat mich niemals geschlagen,
nicht einmal gescholten. Und sie gibt mir immer noch Geld.«
»Geld?«
»Wir brauchten den Lohn, den sie mir gezahlt hat, dringend«, antwortete Marika. »Unser Hof wirft keinen großen Gewinn ab, und
ohne meinen Lohn ginge es uns noch schlechter. Deshalb zahlt sie
mir noch immer eine kleine Summe jeden Monat. Nicht viel, aber
genug, damit wir nicht hungern müssen.«
»Wie edelmütig«, spöttelte Abu Dun. Andrej ging nicht darauf ein.
»Du warst also auf dem Schloss. Wie sieht es dort aus?«
Wieder verging eine Weile, bevor das Mädchen antwortete. »Eigentlich ist es gar kein richtiges Schloss«, sagte sie zögernd. »Ich
meine: Ich war noch nie auf einem richtigen Schloss und weiß nicht,
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