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Die Blutgraefin

Die Blutgraefin

Titel: Die Blutgraefin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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innerhalb kürzester Zeit wach zu werden und
seine Lage auf Anhieb zu erfassen.
»Was?«, fragte er unwillig.
»Meister Delãny?«, drang die Stimme des Wirtes gedämpft durch
das Holz der Tür. »Seid Ihr wach?«
»Natürlich nicht«, erwiderte Andrej übellaunig. »Deshalb antworte
ich dir ja auch.«
»Bitte verzeiht die Störung. Aber unten ist jemand, der Euch zu
sprechen wünscht.« Etwas schien den Wirt verstört zu haben, denn
seine Stimme klang dünn und ängstlich.
Ihn? Andrej schob das Schwert wieder in die Scheide zurück, setzte
sich vollends auf und fuhr sich mit der linken Hand über die Augen,
während er die Beine vom Bett schwang. Es gab im Umkreis von
hundert Meilen niemanden, der ihn kannte. Wer sollte ihn also sprechen wollen? Er gönnte sich noch einige Augenblicke, um die Müdigkeit wegzublinzeln, fuhr sich noch einmal mit dem Handrücken
über Gesicht und Augen und stand dann auf. Er war so schwach, dass
er auf dem kurzen Weg zur Tür zweimal ins Stolpern geriet.
»Was ist?«, raunzte er den Wirt grob an.
»Ich… ich habe etwas zu essen für Euch vorbereitet, Herr«, stotterte der Wirt, während er zugleich zwei unsichere Schritte zurück
machte. Man sah ihm an, dass er sich weit weg wünschte. »Und…
und unten ist jemand für Euch.«
Dann machte er auf dem Absatz kehrt und lief so schnell davon,
dass man es wohl durchaus als Flucht hätte bezeichnen können. Andrej sah ihm verwirrt nach, fuhr sich mit den gespreizten Fingern
durch das Haar und gähnte so ausgiebig, dass seine Kiefergelenke
knackten, während er ihm langsam folgte.
In der Gaststube erlebte er eine Überraschung. Er hatte damit gerechnet, Pater Lorenz zu sehen, vielleicht auch einen der Bauern.
Aber an dem Tisch am Kamin, an dem Abu Dun und er heute Morgen gesessen hatten, erwartete ihn ein mittelgroßer, weißhaariger
Mann, der einen ebenfalls weißen Mantel trug. Andrej blieb wie vom
Donner gerührt stehen und starrte ihn an. Seine Hand senkte sich auf
das Schwert, und sein Herz begann zu jagen. Er war schlagartig
hellwach.
In den bernsteingelben Augen des Fremden blitzte es amüsiert auf.
Er hob beruhigend die Hand. »Keine Sorge, mein Freund«, sagte er.
»Ich bin nicht hier, um Streit mit Euch anzufangen.«
Das war auch nicht nötig. Wenn Andrej sich recht erinnerte, hatte
er das bereits getan. Er nahm die Hand behutsam wieder vom
Schwert, ließ den Weißhaarigen aber keinen Sekundenbruchteil aus
den Augen und näherte sich vorsichtig dem Tisch. Am weißen Ledergürtel seines Gegenübers war kein Schwert auszumachen.
»Ich sagte doch, ich bin nicht gekommen, um mit Euch zu streiten«,
sagte der Weißhaarige, dem Andrejs Blicke offenbar nicht entgangen
waren. »Setzt Euch. Trinken wir einen Becher Wein zusammen. Das
ist immer noch die beste Art, einen dummen Streit zu begraben.« Er
wiederholte seine einladende Handbewegung - Andrej bewegte sich
widerwillig um den Tisch herum und setzte sich so weit entfernt von
ihm, wie es nur ging. Er sah, dass bereits zwei Becher vor dem
Weißhaarigen standen. Der Fremde schob ihm einen davon auffordernd zu.
»Er ist gut«, lobte er. »Nicht das gepanschte Zeug, das dieser Kretin
von Wirt seinen anderen Gästen vorsetzt.«
Andrej wandte unwillkürlich den Kopf, aber der Kretin, von dem
der Weißhaarige gesprochen hatte, war nicht in Sicht. Anscheinend
hatte er fluchtartig den Raum und womöglich auch das Haus verlassen.
»Ich glaube nicht, dass ich mit Euch trinken will«, sagte Andrej.
Der andere seufzte. »Ich bitte Euch, Andrej. Ihr seid doch nicht etwa beleidigt wegen dieser dummen Sache gestern? Oder war es das
erste Mal?«
»Das erste Mal?«
»Dass Ihr einen Kampf verloren habt.«
»Nein«, antwortete Andrej kühl. »Ich bin schon auf weitaus stärkere Gegner als Euch gestoßen.«
»Sie müssen wirklich gut gewesen sein«, sagte der Weißhaarige,
»denn Ihr seid ein fantastischer Schwertkämpfer. Ich kann das beurteilen, denn ich bin der Beste.«
»Was wollt Ihr?«, fragte Andrej. Er lauschte so konzentriert in sich
hinein, wie er nur konnte, aber da war nichts. Hätte er es nicht besser
gewusst, so hätte er sein Leben darauf verwettet, einem ganz normalen Menschen gegenüberzusitzen.
»Gebt Euch keine Mühe«, sagte der Namenlose. »Es wird Euch
nicht gelingen.«
»Was?«
»Mich zu spüren. Nicht, wenn ich es nicht will.« Er nippte an seinem Wein, stellte den Becher wieder ab und streckte Andrej die
Hand über den Tisch hinweg entgegen.

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