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Die Blutgraefin

Die Blutgraefin

Titel: Die Blutgraefin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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»Hat er dir nicht gefallen?«, fragte er mit einem angedeuteten Lächeln. »Es ist viel Zeit vergangen, und ich kann mich nicht erinnern,
dass wir uns ewige Treue geschworen hätten.«
»Blanche ist der wundervollste Mann, dem ich jemals begegnet
bin«, antwortete Maria mit erstaunlicher Offenheit. »Am Anfang
hatte ich Angst vor ihm. Vor ihm und dem, was er mit mir gemacht
hatte. Und ich fürchtete, er würde eine Gegenleistung fordern.« Sie
begann wieder, das Glas in ihrer rechten Hand zu drehen. Abermals
huschten rote und orangefarbene Lichtreflexe über ihr Gesicht, als
hätten die Erinnerungen, die sie mit ihren Worten heraufbeschwor,
leuchtend Gestalt angenommen. »Aber er wollte nichts von mir. Er
hat mich niemals berührt. Blanche interessiert sich nicht für so etwas.«
»So etwas?«
»Für Frauen«, erklärte Maria. »Auch nicht für Männer, wenn du
das glaubst.«
»Wie ein Eunuch ist er mir nicht vorgekommen«, sagte Andrej, bedauerte seine Worte aber schon, noch bevor er sie ganz ausgesprochen hatte.
»Ich glaube, er hat sich schon vor langer Zeit in etwas verwandelt,
für das andere Dinge zählen.«
»Etwas?«
Maria hob die Schultern und stellte das Glas wieder auf den Tisch.
»Ich habe ihn danach gefragt«, sagte sie, »aber er hat mir nicht geantwortet. Ich glaube, dass er das ist, was auch wir werden. Irgendwann einmal.«
Die Worte riefen Andrej die Andeutungen des Namenlosen ins Gedächtnis. Nur dass er sie nun, da er sie aus Marias Mund hörte, nicht
mehr missachten konnte. Er empfand keine Angst. Eher eine Art tiefes Unbehagen, das ihn fast noch mehr verstörte, als reine Furcht es
vermocht hätte.
»Er hätte mich haben können, wenn er gewollt hätte«, fuhr Maria
fort, ohne dass Andrej sie danach gefragt hätte. »Am Anfang, weil
ich dachte, es ihm schuldig zu sein für das, was er für mich getan
hat.« Sie lächelte flüchtig, wie um für das Gesagte um Verzeihung zu
bitten. »Ich war jung.«
»Ich weiß.«
»Aber das war am Anfang. Später… später sehnte ich mich sogar
danach. Aber er hat mich stets zurückgewiesen. Irgendwann habe ich
es dann aufgegeben.«
Andrej hörte das leise Bedauern in ihrer Stimme und spürte einen
durchdringenden Stich der Eifersucht. Er hatte nicht das mindeste
Recht auf ein solches Gefühl. In den zurückliegenden fünf Jahrzehnten hatte er gewiss nicht wie ein Mönch gelebt, auch wenn unter all
den Frauen, die er in dieser Zeit gehabt hatte, nicht eine gewesen
war, der es auch nur annähernd gelungen wäre, Marias Platz in seinem Herzen und in seiner Erinnerung einzunehmen.
Ein ungutes Schweigen breitete sich zwischen ihnen aus. Andrej
hätte am liebsten alles vergessen, was er gehört hatte, seit er dieses
Zimmer betreten hatte. Er spürte, wie sich das Unbehagen noch verstärkte, wie ein übler Geruch, der plötzlich in der Luft lag und alles
verderben würde, wenn es ihnen nicht gelang, die Ursache dafür zu
finden und auszumerzen. Er räusperte sich, griff nach seinem Glas
und trank einen Schluck. Der Wein war schwer und süß, besser, als
er erwartet hatte. »Und danach?«, fragte er.
»Nachdem ich wieder gesund war«, antwortete Maria, »sind wir
weggegangen. Ich glaube, wir dachten, wir könnten einfach davonlaufen. Vor den Erinnerungen. Dem Krieg. Den Menschen.« Ein bitteres Lächeln umspielte ihre Lippen. »Aber das konnten wir nicht.
Niemand kann das. Wir sind so weit gegangen, wie wir konnten, bis
hinauf nach Schweden, und danach in die andere Richtung. Zwei
Winter haben wir in Italien verbracht, wo Blanche ein kleines
Schloss besitzt, doch am Ende sind wir immer wieder hierher zurückgekommen.«
Sie sagte nicht: weil ich dich gesucht habe. Und doch wusste Andrej, dass es so war. Marias Geschichte war zugleich auch seine eigene. Abu Dun und er hielten sich seit einem halben Jahrhundert in
diesem Teil der Welt auf, der von einem nicht enden wollenden
Krieg heimgesucht und von Misstrauen und Hass regiert wurde, ohne
dass es einen vernünftigen Grund dafür gab. Die Erde war schier
unendlich groß, selbst für Männer wie Abu Dun und ihn, die alle Zeit
der Welt hatten, sie zu erforschen. Trotzdem hatten sie sich nie weit
von der Gegend entfernt, in der er Maria verloren hatte, denn ein
winziger, aber unbeirrbarer Teil von ihm beharrte wider jede Logik
darauf, dass er sie dort auch wieder finden würde.
»Wir waren überall«, sagte Maria. »Haben tausend verschiedene
Orte aufgesucht. Manchmal nur

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