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Die Blutgraefin

Die Blutgraefin

Titel: Die Blutgraefin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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ging wieder zum Kamin. Sie bewegte sich langsam und
blickte einmal über die Schulter zurück, so als müsse sie sich mit
eigenen Augen davon überzeugen, dass er ihr folgte. Unmittelbar vor
dem Kamin blieb sie stehen und streifte mit einer einzigen, anmutigen Bewegung ihr Kleid ab. Darunter trug sie nichts.
    Spät in der Nacht erwachte Andrej. Wieder fiel es ihm ungewohnt
schwer, in die Gegenwart zurückzufinden. Er fühlte sich matt, körperlich und geistig gleichermaßen erschöpft. Er erinnerte sich an einen Albtraum, in dem Maria und Blanche aufgetaucht waren, und in
dem Blut eine Rolle spielte.
    Andrej tastete, ohne die Augen zu öffnen, nach rechts. Maria war in
seinem Arm eingeschlafen. Er spürte die Wärme ihres Körpers und
den süßen Duft ihres Haares noch immer auf der Haut. Vielleicht war
er wach geworden, als sie sich aus seiner Umarmung gelöst hatte und
aufgestanden war.
    Andrej öffnete widerwillig die Augen und blinzelte in die heruntergebrannte Glut des Kamins. Als sie davor niedergesunken waren,
hatte ein gewaltiges Feuer darin geprasselt. Die Scheite hatten sich
inzwischen in ein kleines, nur mehr glimmendes Gluthäufchen verwandelt. Es war dennoch nicht kalt in dem Raum.
    Umständlich setzte sich Andrej auf, zog die Beine an den Körper
und stützte mit geschlossenen Augen das Kinn auf den Knien ab, um
sich noch einmal die vergangenen Stunden ins Gedächtnis zu rufen.
Maria und er hatten sich geliebt, mit all der Intensität und Leidenschaft, wie er es sich in den vergangenen Jahren unzählige Male vorgestellt hatte. Es war trotzdem nicht ganz so gewesen, wie es hätte
sein sollen. Irgendetwas hatte gefehlt. Es war…
    Andrej unterbrach diesen Gedankengang, zornig auf sich selbst. Er
war ungerecht. Natürlich hatte die Wirklichkeit hinter den Träumen
und Sehnsüchten von fünf Jahrzehnten zurückbleiben müssen. Wie
hätten sie auch in einer Stunde nachholen können, worauf sie ein
halbes Jahrhundert gewartet hatten?
    Sein Rücken schmerzte. Es kostete ihn große Mühe, sich gänzlich
aufzurichten. Als er sich zu recken versuchte, schoss ein so scharfer
Schmerz durch sein Rückgrat, dass er die Zähne zusammenbeißen
musste und nur mit Mühe ein Stöhnen unterdrücken konnte. Was war
mit ihm geschehen? Das war nicht die wohlige Mattigkeit, die nach
einer Liebesnacht folgte. Er fühlte sich vielmehr auf unerwartete
Weise seiner Kraft beraubt.
    Andrej erinnerte sich nur zu gut, dass er dieses Gefühl auch am
vergangenen Morgen gehabt hatte, als er auf dem stinkenden Lager
im Gasthaus erwacht war. Es hatte also nichts mit Maria zu tun, sondern ausschließlich mit ihm selbst. Seit sie Wien verlassen hatten,
begann er immer öfter an seine Grenzen zu stoßen. Andrej hatte es
bisher nicht gewagt, den Gedanken laut auszusprechen, schon aus
Angst, ihn damit erst Wirklichkeit werden zu lassen. Doch hatte es
vermutlich keinen Sinn, es noch länger zu leugnen: Breitenecks Medizin hatte ihn nicht vollständig geheilt. Oder sie begann, ihre Wirkung zu verlieren. Was auch immer ihn in den unterirdischen Katakomben der umkämpften Stadt vergiftet hatte - es hatte die Grenzen
seiner Unsterblichkeit durchbrochen und ihm nachhaltigeren Schaden zugefügt, als er wahrhaben wollte. Vielleicht konnte Maria ihm
helfen. Und wenn nicht sie, dann ihr unheimlicher Beschützer.
    Andrej richtete sich erneut auf, stemmte die Hände in den Rücken
und bog das Kreuz durch. Es tat weh, doch der Schmerz verebbte,
lediglich das Gefühl der Erschöpfung blieb.
    Er stellte mit einem raschen Blick fest, dass er allein war. Bis auf
das leise Knacken des glimmenden Holzes und das leise Heulen, mit
dem sich der Wind an den Kanten und Vorsprüngen des Hauses
brach, war es vollkommen still. Er bückte sich nach seinen Kleidern.
Jetzt erst merkte er, dass er nicht auf dem nackten Boden erwacht
war. Das Kleid aus rotem Brokat, das Maria getragen hatte, lag noch
unter ihm. Aus einer romantischen Anwandlung heraus bückte er
sich, hob es auf und strich mit den Fingerspitzen über den kostbaren
Stoff.
    Verwirrt zog er die Hand zurück. Andrej erinnerte sich an jede Sekunde, jeden Atemzug, den sie Arm in Arm dagelegen und sich liebkost hatten. Er erinnerte sich ebenso deutlich an das Gefühl des
samtweichen, warmen Stoffes, auf dem sie gelegen hatten. Jetzt fühlte er sich rau und spröde an, sodass er fürchtete, er könnte unter seinen Fingern zerfallen, wenn er zu fest Zugriff. Andrej drehte sich um
und

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