Die Blutgraefin
überdeutlich klar, was sie von seinem Ansinnen hielt - aber er verriet ihm auch noch etwas anderes. Falls sie seine Bitte überhaupt mit Sorge erfüllte, dann war es Besorgnis um ihn,
und nicht um ihren unheimlichen Verbündeten und Lebensretter. Sie
streckte die Hand nach einer kleinen Messingglocke aus, die vor ihr
auf dem Tisch stand, und läutete.
Sie hatte die Klingel noch nicht wieder abgestellt, da öffnete sich
die Tür, und das Mädchen kam herein. So schnell, als habe es draußen auf dem Flur gewartet.
»Ihr habt einen Wunsch, Herrin?«, fragte Elenja, während sie sich
gleichzeitig bemühte, einen Hofknicks zu Stande zu bringen. Andrej
musste ein Lächeln unterdrücken, als er sah, wie schwer es ihr fiel,
bei diesen Worten ihre Dienstherrin anzublicken, und nicht ihn.
»Geh bitte und such nach Blanche«, antwortete Maria. »Unser Gast
wünscht mit ihm zu sprechen.«
Elenjas Reaktion überraschte Andrej. Sie hatte sich gut in der Gewalt. Dennoch gelang es ihr nicht, ihre Verwirrung über Marias Befehl zu verhehlen. Sie blickte ihre Herrin an, als habe diese etwas so
vollkommen Sinnloses von ihr verlangt, dass es sich nur um einen
Scherz handeln konnte. Dann aber beeilte sie sich zu nicken und mit
einem gemurmelten »Ganz, wie Ihr befehlt, Herrin« rückwärts gehend das Zimmer wieder zu verlassen.
»Hat Sie etwas gegen Blanche?«, wandte sich Andrej an Maria.
»Bisher nicht«, antwortete Maria, während sie Elenja verwundert
hinterherschaute. »Sie geht ihm aus dem Weg, wo sie kann, aber das
gilt für die meisten Menschen.«
Andrej hatte das sichere Gefühl, dass diese Antwort nicht die ganze
Wahrheit darstellte. Er gestattete sich jedoch nicht, den Gedanken
weiterzuverfolgen. Erneut nippte er an seinem Wein. Dann griff er
nach dem Teller mit erlesenen Köstlichkeiten, der auf dem Tablett
stand, und begann zu essen. Die Speisen waren allerdings schon abgekühlt und schmeckten längst nicht so gut, wie sie aussahen. Das
Fleisch war zäh, das Gemüse zerkocht, und die Pilze, die Elenja zubereitet hatte, hätte er gewiss nicht angerührt, hätte er nicht gewusst,
dass es unmöglich war, ihn zu vergiften. Dennoch nickte er anerkennend, als Maria ihm einen fragenden Blick zuwarf. Wenn das Mädchen tatsächlich die Tochter eines armen Bauern aus den umliegenden Wäldern war, konnte er nichts Besseres erwarten. Immerhin hatte sie sich Mühe gegeben.
Schon nach den ersten Bissen spürte er, wie hungrig er war. Maria
hatte Recht: Nach dem, was ihm in dem so genannten Gasthof vorgesetzt worden war, hätte ihm wahrscheinlich alles geschmeckt. Maria
selbst aß jedoch nur sehr wenig. Sie stocherte lustlos im Essen herum
und nahm nur dann und wann einen winzigen Bissen zu sich, wenn
Andrej sie ansah. Offensichtlich war sie von Elenjas Kochkünsten
auch nicht besonders angetan.
Dann fiel ihm etwas auf. Die ganze Zeit über hatte er das Gefühl
gehabt, dass mit diesem Festmahl etwas nicht stimmte. Es war der
Tisch. Der Tisch und die Sitzordnung.
Die Tafel war nur für zwei Gäste gedeckt.
»Du wusstest, dass Abu Dun nicht mitkommt?«, fragte er.
»Blanche sagte es mir«, antwortete Maria. Sie kam seiner nächsten
Frage zuvor. »Hier geschieht nichts, wovon er nicht wüsste. Er hat
mich davon schon unterrichtet, kurz nachdem du das Dorf verlassen
hattest.«
Andrej schwieg verärgert, weil der Weißhaarige ihn offensichtlich
auf Schritt und Tritt belauerte. Am meisten verstimmte ihn, dass er es
nicht gemerkt hatte.
»Vielleicht ist es ganz gut so«, murmelte er.
»Was?«
»Wenn ich zuerst allein mit Abu Dun rede«, antwortete Andrej. Er
schob seinen Teller von sich. Ihm war der Appetit vergangen. »Ich
weiß nicht, wie er reagiert, wenn er dich sieht.«
»Du meinst, wenn er erfährt, was aus mir geworden ist?«, brachte
es Maria auf den Punkt.
»Was ist denn aus dir geworden?« Andrej hasste sich für diese Frage. Aber sie war unvermeidbar. Etwas stand zwischen ihnen - eine
Zerrissenheit, ein Argwohn, der ihm keine Ruhe ließ.
»Diese Frage stelle ich mir seit dem Morgen, an dem ich in Blanches Armen aufgewacht bin«, antwortete Maria. »Ich weiß es nicht.«
»So wenig wie ich«, flüsterte Andrej. Ein Blick in Marias Augen
ließ ihn alles andere vergessen. Es spielte keine Rolle, was ihnen
inzwischen zugestoßen war. Wozu sie beide geworden waren. Sie
hatten einander wieder gefunden, und das war alles, was zählte.
Langsam stand er auf. Auch Maria schob ihren Stuhl zurück, erhob
sich und
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