Die Blutgruft
einem Automatismus gefolgt und hatte die Deckung der Kiste endgültig verlassen.
Wie eine Statue blieb er stehen. Vor ihm lag jetzt praktisch die gesamte Halle frei. Nur war sie eben in dieses Dunkel getaucht, das ein Erkennen fast unmöglich machte. Da brauchte Jessica sich nicht mal besonders zu verstecken. Wahrscheinlich sah sie ihn, umgekehrt war es nicht der Fall. Er ging einfach davon aus, dass Vampire auch in der Dunkelheit alles erkennen konnten.
Er zwinkerte. Staub wehte noch immer durch die Halle. Er spürte und schmeckte ihn. Er brannte auch leicht in den Augen und klebte auf der Haut. Den Juckreiz nahm er hin, als er nach vorn ging. In der rechten Hand hielt er seinen Revolver. Noch zeigte die Mündung gegen den Boden, aber Don Rifkin war bereit, die Waffe anzuheben und sofort zu schießen.
Er dachte wieder an den Telefonanruf, den er flüsternd geführt hatte. Möglicherweise war er von Jessica trotzdem gehört worden, doch sie hatte nicht reagiert, und das war bis jetzt so geblieben.
Er wollte sie auch nicht locken und traute sich nicht, nach ihr zu rufen.
»Du hast Angst, wie?«
Da war ihre Stimme. Da war sie selbst! Rifkin schrak zusammen. Beinahe wäre er in den Knien eingeknickt. Pfeifend verließ sein Atem den Mund. Für einen winzigen Moment überkam ihn Schwindel. Er schien über dem Boden zu schweben. Der Anfall, bedingt durch den Schock, dauerte nicht lange, sehr bald atmete er wieder normal durch und versuchte, die Sprecherin zu entdecken.
Es war unmöglich bei diesen Lichtverhältnissen. Sie hielt sich in der Halle versteckt und nutzte die Dunkelheit aus. Er überlegte, wie weit die Sprecherin möglicherweise von ihm entfernt sein konnte. Es war schwer, hier etwas zu sagen. Sie konnte am anderen Ende sein, aber auch in seiner Nähe.
»Hast du Angst?«
Diesmal war er vorbereitet gewesen. Der Schreck traf ihn nicht ganz so hart. Wieder verkniff er sich eine Antwort, weil er zuerst herausfinden wollte, wo sich die Blutsaugerin aufhielt.
Rifkin fluchte innerlich, weil er nichts sah. Sie versteckte sich, nein, sie brauchte sich nicht zu verstecken, es war ja dunkel genug.
»Zeig dich, Jessica«, rief er. »Du hast mich herbestellt. Du willst bestimmt nicht nur Verstecken mit mir spielen.«
»Nein, nein...«
»Dann komm her!«
»Keine Sorge, ich werde bald bei dir sein, und ich denke, dass wir viel Spaß miteinander bekommen werden.«
»Das glaube ich eher nicht.«
Aus dem Dunkeln hörte er das Kichern. »Du glaubst nicht, wie scharf ich auf dein Blut bin, Sheriff.«
Er lachte sogar. »Ich weiß es, Jessica, ich weiß es. Dann komm her und hole es dir.«
Die letzte Antwort hatte sich zwar mutig angehört, aber so mutig war er nicht. Es stand nicht fest, dass er gewinnen würde. Seine Augen bewegten sich. Die Stimme hatte ihn von vorn erreicht. Er war sicher, dass sich die Unperson bald zeigen würde, denn die Worte hatten lauter geklungen als bei der ersten Ansprache.
Seine Augen taten ihm weh. Das lange Starren war er nicht gewohnt. Wenn er jemanden beobachtete, dann zumeist draußen und durch die dunklen Gläser einer Sonnenbrille, aber hier...?
Er hörte sie.
Sie hatte bewusst hart aufgetreten. Es war der Schritt mit dem Echo. Er vernahm auch den zweiten Schritt, den dritten ebenfalls, und danach wurde sein Starren belohnt.
Sie tauchte auf...
Ein Gespenst mit menschlichen Umrissen, so erschien sie in der Dunkelheit. Sie war darin integriert, und für den Moment sah sie aus, als würde sie nur aus Rauch bestehen. Bei den nächsten beiden Schritten war wieder nichts zu hören. Sie verkürzte die Distanz zwischen ihnen. Eigentlich hätte Don jetzt zurückweichen müssen, um in Richtung Tor zu gelangen. Der Gedanke schoss ihm auch durch den Kopf, dann dachte er daran, was er ihr gesagt hatte. Feigheit kam jetzt nicht in Frage, und so blieb er stehen.
Sie war kein Gespenst. Sie bestand auch nicht aus Rauch. Sie war ein dreidimensionales Wesen, und sie sah so aus, wie er sie bei der toten Mrs. Prudomme gesehen hatte. Sogar die Kugellöcher befanden sich noch in ihrer Kleidung.
Jessica blieb stehen. Das gab Don Mut. Wenn sie so etwas tat, wollte sie noch nicht angreifen und mit ihm auf eine andere und normale Weise kommunizieren.
Die Angst der vergangenen Minuten war bei ihm verschwunden. Jetzt drängte die Neugierde in ihm hoch. Er wollte endlich wissen, was mit ihr los war, und so sprach er sie an, wobei seine Stimme leicht vibrierte.
»Wieso bist du dazu geworden? Du bist
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