Die Blutgruft
Niemals tauchte ein Schatten auf, der das Ufer einer Insel hätte sein können. Wir hätten ebenso gut in der Tiefe des Pazifiks sein können. Der Unterschied wäre nicht zu merken gewesen.
So bewegten wir uns weiter einem Ziel entgegen, das für uns nicht sichtbar war, aber für Andy Morgan kein Problem sein sollte.
Manchmal hörten wir ihn sprechen. Nur ihn, denn seine Worte bestanden zumeist aus irgendwelchen Flüchen. Außerdem schimpfte er über sich selbst. Dass er verrückt sei, dieses Wagnis einzugehen. Abe Douglas versuchte, ihn zu beruhigen. Was er jedoch sagte, verstanden wir nicht. Jedenfalls war es wichtig, dass Morgan nicht beidrehte und zurückfuhr.
Suko war diesmal unruhiger als ich. Immer wieder drehte er den Kopf, um etwas erkennen zu können. Einmal stieß er mich sogar an.
»Da ist was!«
»Wo?«
Er deutete nach backbord. Im ersten Moment erschrak ich, denn ich hatte das Gefühl, gegen ein mächtiges Gebirge zu schauen, das plötzlich vor uns aufgetaucht war und nur darauf wartete, sich nach unten senken zu können, um uns zu zerquetschen.
Es war wirklich unheimlich, dies zu verfolgen, denn wir passierten nur sehr langsam diese Insel. Es gab kein Licht in der Masse zu sehen, nur eben den Rücken dieses gewaltigen Ungeheuers, der allmählich flacher wurde. Meine Befürchtungen, dass unser Kiel über einen scharfen Felsen schlitterte, waren nicht eingetreten, und so konnte ich wieder aufatmen und hielt die Luft nicht mehr an.
»Ganz schön heftig, wie?«
»Das kannst du laut sagen.«
Suko lachte. »Der Nebel lässt alles anders aussehen. Und auch die Dämmerung.«
Er brauchte nichts mehr hinzuzufügen. Diese Welt war eine andere geworden. Unheimlich, gefährlich, still, lauernd, aber darauf bedacht, urplötzlich eine tödliche Gefahr schicken zu können.
Wir hatten Andy Morgan gebeten, trotz des Nebels ohne Licht zu fahren. Er hatte uns den Gefallen getan, und so würden wir weniger zu sehen als zu hören sein.
»Was ist, wenn wir die Insel erreichen?«, fragte Suko.
»Dann haben wir sie.«
Er zweifelte. »Bist du sicher?«
»Ja. Sag mir, weshalb es nicht so ablaufen sollte. Sag es mir. Wo sollte sich Rusko sonst mit seinen Gespielinnen verstecken? Es gibt keinen idealeren Ort für ihn. Eine unbewohnte Insel. Vielleicht ein Boot, mit dem er das Eiland verlassen kann, um dann blitzschnell zuzuschlagen. Das ist perfekt.«
»Nur wird diese Perfektion jetzt einen Riss bekommen haben, John. Ich rechne damit, dass er die Vernichtung der Jessica Flemming gespürt hat und seine Konsequenzen zieht. Wenn er dermaßen gewarnt ist, wird er seine Augen verdammt weit offen halten und ebenfalls seine Ohren. Also müssen wir damit rechnen, dass etwas passiert.«
»Damit rechne ich immer.«
Suko blieb beim Thema. »Wir fahren nicht lautlos, John. Du kennst die Blutsauger und ihre geschärften Sinne. Er wird uns hören und seine Konsequenzen daraus ziehen.«
Ich schüttelte den Kopf. »Ins Wasser kann er nicht. Schwimmende Vampire habe ich noch nicht gesehen. Also wird er auf der Insel warten, um uns dort in Empfang zu nehmen. Davon zumindest gehe ich aus.«
»Er kennt die Insel.«
»Und?«
»Er kennt auch die Schlupflöcher.«
Ich musste leise lachen. »Die werden unserem Freund Morgan auch nicht unbekannt sein, denke ich.«
»Hast du ihn gefragt, ob er schon einen Fuß auf den Boden der Insel gesetzt hat?«
»Habe ich nicht.«
»Das sollten wir aber.«
Ich winkte ab. »Später.« Dann sagte ich nichts mehr, weil jemand den Ruderstand verlassen hatte und auf uns zukam. Die Gestalt ging etwas schwankend über die Schiffsplanken und blieb in Sprechweite vor uns stehen.
»Wir sind gleich da«, sagte Abe. »Das sollte ich euch mitteilen. Morgan will wissen, wie eure weiteren Pläne aussehen.«
»Die Insel betreten.«
»Das sag du ihm mal, John.«
»Warum?«
Abe Douglas machte ein sorgenvolles Gesicht. »Ich kann mir vorstellen, dass es Probleme gibt.«
»Warum sollte es das?«
»Warum? Warum?« Er stellte sich breitbeinig hin und hielt sich an der Reling fest. »Es ist finster. Es herrscht Nebel. Er fährt ohne Licht. Den Scheinwerfer soll er nicht einschalten. Das ist auch für einen Profi wie ihn nicht immer einfach.« Er deutete zum Ruderstand hin. »Geh hin und sprich mit ihm.«
»Immer ich.«
»Einer muss es ja sein.«
Suko grinste zu dieser Bemerkung. Ich gab mich friedlich und sagte nichts mehr. Dafür war mein Ziel der Ruderstand. Er lag etwas tiefer. Ich musste mich
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