Die blutige Arena
etwas ganz anderes. Er wolle seine Familie benachrichtigen, ihn heute abends nicht zu erwarten. Wieder machte Gallardo eine ängstliche Gebärde, beruhigte sich aber unter dem Blicke seines Freundes. »Keine Angst,« sagte dieser leise bei der Tür, »glaubst du, dass ich ein Tölpel bin? Ich werde sagen, dass du mit einem Bekannten aus Madrid speise.«
Die Qual, welche der Torero in den ersten Augenblicken der Mahlzeit empfand, lässt sich schwer beschreiben. Die gediegene und herrschaftliche Pracht des Speisezimmers, in welchem die beiden sich zu verlieren schienen, obwohl sie einander gegenüber in der Mitte des großen Tisches neben dem hohen silbernen Leuchter saßen, drückte ihn nieder. Die Diener flößten im mit ihrem eindrucksvollen Gehaben, ihrem gemessenen, unpersönlichen Wesen, das offenbar durch die unwahrscheinlichsten Launen ihrer Herrin nicht aus der Ruhe gebracht werden konnte, Bewunderung ein. Er schämte sich über sein Äußeres und sein Betragen, da er den starken Gegensatz zwischen seiner Umgebung und sich selbst empfand.
Doch langsam schwand dieser Eindruck von Furcht und Befangenheit. Doña Sol lachte über seine Zurückhaltung beim Essen und über die Ängstlichkeit, mit welcher er Schüsseln und Becher berührte. Gallardo bewunderte sie immer mehr. Gewohnt an die Ziererei und Enthaltsamkeit der Damen, welche er bis jetzt kennen gelernt hatte und welche es für unschicklich hielten, viel zu essen, staunte er nun über den gesunden Appetit der Doña Sol und über die Hingebungmit welcher sie sich dem Mahle widmete. Ein Bissen nach dem anderen verschwand hinter diesen rosigen Lippen, ohne eine Spur zu hinterlassen, ihre Kinnbacken arbeiteten, ohne daß diese Bewegung die Schönheit ihres Antlitzes beeinträchtigte. Sie hob das Glas an ihre Lippen, ohne diese auch nur mit einem Tropfen zu benetzen. Solche Bewegungen konnten sicherlich nur Göttinnen eigen sein.
Ermutigt durch ihr Beispiel, aß Gallardo fest drauf los und verlegte sich vor allem auf das Trinken, da er in der Auswahl der schweren Weine ein Mittel sah, seine Ungelenkigkeit und Schüchternheit, welche ihm nur ein Lächeln und ein linkisches »Danke« erlaubten, abzulegen.
Die Konversation wurde lebhafter. Der Stierkämpfer, der sich langsam angeregt fühlte, sprach von den glücklichen Zufällen des Torerolebens, erzählte die Eigenheiten des National und seines Picadors Potaje und Doña Sol hörte lächelnd diese Details aus dem Leben der Männer an, welche beständig dem Tode ins Antlitz schauen und die sie schon seit langem aus der Ferne bewundert hatte.
Der Champagner brachte Gallardo völlig aus seiner Reserve heraus, und als er sich vom Tisch erhob, reichte er seiner Dame den Arm, während er innerlich über seine eigene Kühnheit staunte. Tat man es nicht so in der vornehmen Welt? Er war doch nicht so ungebildet, wie er es auf den ersten Blick zu sein schien.
In dem Salon, wo man ihnen den Kaffee kredenzte, sah der Torero eine Gitarre, die gleiche ohne Zweifel, auf welcher der alte Lechuto seine Stunden gab. Doña Sol reichte sie ihm hin und bat ihn, ihr etwas vorzuspielen.
»Ich kann nicht spielen. Außer Stiere töten kann ich nichts.«
Beide blieben schweigend sitzen, Gallardo auf einem Sofa, die dicke Havanna paffend, welche ihm ein Diener angeboten hatte. Doña Sol rauchte eine ihrer Zigaretten, deren Duft sie in eine Art von Betäubung versetzte. Die Schwere des genossenen Mahles lastete auf dem Torero, verschloß ihm den Mund und erlaubte ihm kein anderes Lebenszeichen als ein steifes, gekünsteltes Lächeln.
Müde von diesem andauernden Schweigen, in welchem sich ihre Worte verloren, setzte sich Doña Sol an das Klavier und entlockte den Tasten die heitere Weise eines Tanzliedes.
»Oh, das ist schön, sehr schön«, sagte der Torero, seine Lässigkeit überwindend. Nach dem Tanz kam ein Lied aus Sevilla und andere andalusische, melancholische, orientalische Weisen, welche Doña Sol als eine Eigenheit des Landes gesammelt hatte.
Gallardo unterbrach die Musik mit seinen Zurufen, als ob er in einem Konzertcafé wäre.
»Gefällt Ihnen diese Musik?« fragte die Hausfrau.
»Oh ja, sehr.« Gallardo hatte sich diese Frage zwar niemals selbst gestellt, doch war er augenscheinlich ein Freund solcher Weisen.
Doña Sol ging unmerklich vom schnellen Rhythmus der Volkslieder in eine langsamere, getragene Melodie über, welche der Stierkämpfer bei der Tiefe seiner musikalischen Kenntnisse als »Kirchenmusik«
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