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Die Blutige Sonne - 14

Die Blutige Sonne - 14

Titel: Die Blutige Sonne - 14 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
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recht. Wie ein böses Echo hörte er die Worte der alten Matrixspezialistin, die ihr Leben lasten mußte, um ihm ein winziges Stückchen seiner Vergangenheit zu zeigen: Du wirst das finden, was du liebst, und du wirst es zerstören, aber gleichzeitig wirst du es retten. – Die Prophezeiung hatte sich erfüllt. Er hatte das gefunden, was er liebte – und er war nahe daran, es zu zerstören. Konnte er es retten, wenn er fortging?
    Mit grimmigem Gesicht stand Kerwin auf. Nun wußte er, was er zu tun hatte.
    Langsam, jeden Blick in den Spiegel vermeidend, streifte er die Wildlederhosen ab, die niedrigen, spitzengesäumten Stiefel, und kleidete sich in die schwarze, seidenbesetzte Lederuniform des Imperiums, die er beiseite gelegt hatte, als er nach Arilinn gekommen war.
    Was sollte er mit dem Matrixkristall tun? Er fluchte verzweifelt und wollte ihn schon zum Fenster hinausschleudern, aber dann steckte er ihn doch in die Tasche. Er gehörte meiner Mutter, dachte er, und sie hat ihn mit in die Verbannung genommen. Er kann auch mich begleiten.
    Wieder zögerte er, als er den bestickten Darkovaner-Mantel in den Händen hielt. Mit ihm hatten die Ereignisse ihren Anfang genommen. Schließlich warf er ihn doch um die Schultern. Er war sein Eigentum, gekauft mit dem auf anderen Welten ehrlich verdienten Geld, und – Gefühle beiseite – ein warmes Bollwerk gegen den Schnee und Regen der Darkovaner-Nächte. Mit zwei Stichwunden durfte man sich Erkältungen nicht aussetzen. Und noch eine praktische Seite hatte er: Auf den Straßen von Arilinn war ein Terraner so selten wie eine Sternblume auf den nackten Gipfeln des Heller; im Mantel konnte er unerkannt bleiben, bis er weit, weit weg war.
    Er öffnete die Tür seines Zimmers. Irgendwo roch es verlockend nach Essen. Kämpfe bis aufs Messer, Blutrache, endlose telepathische Arbeiten im unheimlichen Matrixring mochten kommen und gehen, aber die praktische Mesyr sorgte für die Mahlzeiten, lehrte die kyrri, sie so zu kochen, daß alle zufrieden waren, tadelte Rannirl, wenn er sich durch zuviel Wein vor dem Essen den Appetit verdarb, nähte neue Bänder an Taniquels zarte Kleider, schimpfte mit Corus, wenn er seine Stiefel durch die Halle warf. Er hörte ihre ruhige, freundliche Stimme, und ihm wurde fast übel vor Schmerz. Hier war er zu Hause; es war das einzige Zuhause, das er je gekannt hatte.
    Er kam an einer offenen Tür vorbei; ein Hauch von Taniquels blumigem Parfüm wehte heraus; er hörte sie singen. Vor seiner Erinnerung stand ihr Bild, ihr schlanker, schöner Körper, die Locken hoch aufgetürmt auf dem Scheitel. Zärtlichkeit durchflutete ihn; sie wußte noch nicht, wie der Kampf ausgegangen war, denn sie hatte nach der anstrengenden Nacht lange geschlafen und weder Rannirl, noch Auster oder Kennard gesehen.
    Dieser Gedanke machte ihn plötzlich frösteln. Die Fäden des Kontakts würden sich zwischen ihnen spinnen – wenn es nicht schon geschehen war –, und dann wußten alle, was er vorhatte. Er mußte rasch verschwinden, ohne sich mit gefühlvollem Abschiednehmen aufzuhalten, oder sie würden wissen, was er plante. O Gott, wenn sie es nur wüßten, dachte er. Aber dann mußte er ihnen allen erneut gegenübertreten.
    Er zog die Kapuze über den Kopf, stieg leise die Treppe hinab und durchschritt den prickelnden Regenbogenschleier, der eine ihrer Barrieren war. Nun war er in Sicherheit, denn nur mit dem Matrix konnten ihre Gedanken den Schleier durchdringen, der sie vor Eindringlichen beschützte. Entschlossen schritt er an den niedrigen Gebäuden vorbei, die sich um den Turm duckten, überquerte den FIugplatz und tauchte in den Straßen von Arilinn unter. Er hatte noch keine Pläne. Wohin konnte er sich wenden? Die Terraner wollten ihn nicht haben, und Darkover hatte nun auch keinen Platz mehr für ihn. Aber vielleicht war es doch besser, zu den Terranern zurückzukehren; sie konnten ihn ja deportieren, wenn sie wollten. Und er konnte dann endlich aufhören, gegen sein Schicksal anzukämpfen…
    Wenn ihn die Terraner aber nun wirklich auf die Com’yn angesetzt hatten? Wenn er zurückkehrte zu ihnen, entschlossen, ihre langgehegten Pläne zu durchkreuzen – was dann? War das überhaupt wichtig? Was konnte denn jetzt schon wichtig sein?
    Er schaute auf und sah genau in das große rote Auge der Sonne. Langsam versank sie hinter der riesigen, verschwimmenden Masse des Turmes von Arilinn; dann folgten die schnell verhüllende Dunkelheit, die Kälte, das Schweigen.

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