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Die blutige Sonne

Die blutige Sonne

Titel: Die blutige Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer Bradley
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ihr donnernden Hufe, die lange Jagd, ein seltsames Sehnen, das nicht frei von Furcht war … Bilder überfluteten seinen Geist, er überholte sie, riß sie von ihrem Pferd, warf sie zu Boden … Die gemeinsame sexuelle Erregung stieg und stieg. Unbewußt trieb er sein Pferd an, bis er am Tor der Stadt dicht hinter ihr war …
    Plötzlich kam die Ernüchterung. Was tat er da? Er war hier ein geladener Gast, ein Mitarbeiter, jetzt durch einen Eid mit den anderen verbunden, ein zivilisierter Mensch, kein Räuber oder Falke! Das Blut pochte in seinen Schläfen. Als Stallknechte herbeieilten, um ihnen die Pferde abzunehmen, vermied er Neyrissas Blick. Sie stiegen ab, und er spürte, daß auch sie schwach war vor Aufregung, daß sie kaum stehen konnte. Er schämte sich seiner sexuellen Phantasien, und der Gedanke, daß Neyrissa an ihnen teilgenommen hatte, entsetzte ihn. In dem engen Gang des Stalles ging sie an ihm vorbei. Ihre Körper berührten sich nicht, aber er war sich der Frau unter dem weitfaltigen Mantel sehr bewußt, und er senkte den Kopf, damit sie die Röte nicht sah, die ihm ins Gesicht schoß.
    Gleich hinter dem Schleier, auf der Innentreppe, blieb sie plötzlich stehen und schlug die Augen zu ihm auf. Sie sagte ruhig: »Es tut mir leid. Ich hatte vergessen – bitte, glaub mir, ich habe das nicht absichtlich getan. Ich hatte vergessen, daß du … daß du noch nicht imstande sein würdest, dich abzuschirmen, wenn ich dir nicht willkommen war.«
    Er sah sie mit verlegenem Gesicht an und konnte es kaum fassen, daß sie diese merkwürdigen Phantasien geschaffen und auf ihn übertragen hatte. In dem Versuch, höflich zu sein, stammelte er: »Es macht nichts.«
    »Doch!« widersprach sie zornig. »Du verstehst nicht. Ich hatte vergessen, wie du es auffassen würdest, und das ist nicht das, was einer von uns darunter verstanden hätte.« Wieder lagen ihre Gedanken offen vor ihm. Es war ein Schock für ihn, ihre unverhüllt sexuelle Begierde zu erkennen, jetzt nicht mehr maskiert durch den Symbolismus der Falkenjagd. Kerwin geriet in äußerste Verlegenheit. Mit leiser, harter Stimme erklärte sie: »Ich habe es dir gesagt, du verstehst es nicht. Ich hätte das erst tun dürfen, wenn du gelernt hattest, deine Barrieren entsprechend geschlossen zu halten, und das waren sie nicht. Für einen unserer Männer würde die Tatsache, daß du es akzeptiertest und – und teiltest – mehr bedeuten als für dich. Es ist meine Schuld, es geschieht manchmal nach einem Rapport. Du kannst nichts dafür, Kerwin; es verpflichtet dich zu gar nichts. Mach dir keine Gedanken, ich weiß, du willst nicht …« Sie holte tief Atem und sah ihm gerade ins Gesicht, und er spürte ihren Zorn und ihre Frustration.
    Kerwin, der immer noch erst halb verstanden hatte, sagte nervös: »Neyrissa, bitte, entschuldige, es war nicht meine Absicht, dich zu … beleidigen oder … zu verletzen …«
    »Das weiß ich, verdammt sollst du sein!« stieß sie wütend hervor. »Ich sage dir doch: Es passiert manchmal. Ich bin seit so vielen Jahren Überwacherin, daß ich weiß, ich bin verantwortlich dafür. Ich habe die Stärke deiner Barrieren falsch eingeschätzt, das ist alles! Hör auf, eine große Sache daraus zu machen, und beherrsche dich, damit nicht ganz Arilinn das mitbekommt! Ich kann damit fertig werden, du kannst es nicht, und Elorie ist jung. Ich will nicht, daß sie durch diesen Unsinn gestört wird!«
    Die Erkenntnis, daß die anderen Telepathen seine Phantasien, seine Begierden auffangen konnten, war wie ein plötzlicher Guß Eiswasser, der alles ertränkte … Kerwin fühlte sich nackt und zur Schau gestellt, und Neyrissas Zorn fuhr wie ein roter Blitz durch den anbrandenden Schock. Noch nie hatte sich Kerwin so geschämt. Er stotterte eine ungeschickte Entschuldigung, floh die Treppe hinauf und suchte Zuflucht in seinem eigenen Zimmer. Er war sich immer noch nicht ganz klar darüber, was geschehen war, aber es raubte ihm die Ruhe.
    Langes Nachdenken brachte ihn zu dem Schluß, daß das Verbergen von Emotionen in einer Telepathen-Gruppe unmöglich war. Als er wieder mit den anderen zusammentraf, machte er sich große Sorgen, seine peinliche Unfähigkeit, die eigenen Gedanken abzublocken, könne den zwanglosen Umgangston stören. Aber keiner sprach davon oder schien auch nur daran zu denken. Kerwin begann, ein bißchen zu verstehen, was es hieß, selbst die geheimsten Gedanken vor einer Gruppe von Außenseitern offenzulegen. Ihm war, als

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