Die Blutlinie
von Leuten, die bereits Geld hatten –, die anfingen, Webseiten für Erwachsene zu entwickeln. Einige kamen aus der Audiotext-Industrie …«
»Was ist das?«, frage ich.
»Entschuldigung. Telefonsex. Diese Typen, die bereits mit Telefonsex Geld scheffelten, sahen das Web und erkannten sein Potential für die Pornografie. Anonyme, pro Ansicht zu bezahlende, jederzeit verfügbare Wichsvorlagen für Otto Normalverbraucher. Besagte Geschäftsleute nahmen einen Haufen Geld in die Hand und kauften dafür bereits existierende Pornografie. Hunderttausende eingescannter Bilder, die sie auf ihre Webseiten stellten. Um sie anzusehen, musste man zuerst die Kreditkarte zücken. Und an diesem Punkt änderten sich die Dinge in der Porno-Industrie.«
Callie runzelt die Stirn. »Was meinen Sie mit ›änderten sich‹?«
»Das erkläre ich noch. Verstehen Sie, bis zu diesem Punkt war man bei der Pornografie noch in irgendeiner Weise selbst beteiligt. Wenn man Videos beispielsweise verkaufte, dann steckte man bis zum Kragen in dieser Industrie. Also man war an Drehorten, hatte bei den Szenen zugesehen, kannte die Leute, stand vielleicht sogar selbst vor der Kamera. Bis dahin war es immer ein kleiner, geschlossener Kreis gewesen. Doch diese Typen mit den Webseiten waren ganz anders. Es gab eine Zwischenstufe zwischen ihnen und der Entstehung des Materials. Sie hatten Geld, und sie bezahlten die Pornohersteller für ihre Bilder. Die stellten sie ins Netz und kassierten von denen, die sie ansehen wollten. Erkennen Sie den Unterschied? Diese Typen waren keine Pornografen, nicht im klassischen Sinn jedenfalls. Sie waren Geschäftsleute. Mit Marketingplänen, Büros, Angestellten, dem ganzen Drum und Dran. Sie waren nicht mehr der anrüchige Bodensatz der Gesellschaft. Und es zahlte sich aus. Einige der ersten Firmen auf diesem Gebiet machen heute achtzig bis hundert Millionen Dollar im Jahr.«
»Wow!«, rief Callie. Leo nickt.
»Ja, wow. Es mag uns vielleicht nicht als große Sache erscheinen, aber wenn man sich wirklich mit der Geschichte der Pornografie beschäftigt, dann sieht man schnell, dass es ein Paradigmawechsel war. Die meisten Leute, die Anfang der Achtziger Pornos gemacht haben, waren aus den Siebzigern. Das heißt Drogen, promiskuitiver Sex, all die Klischees. Doch diese neuen Internet-Typen? Die meisten von ihnen hatten nichts am Hut mit Partnertausch oder Koksschnupfen, während sie einen geblasen bekamen; nichts dergleichen. Die meisten waren selbst noch nie an einem Pornoset gewesen. Es waren Typen in Geschäftsanzügen, die Millionen mit dem neuesten Dreh verdienten. Sie begannen, die Industrie respektabel zu machen. So respektabel Pornografie eben sein kann.«
»Sie sagten, zwei Dinge seien passiert«, unterbricht ihn Callie. »Was war das zweite?«
»Während diese Geschäftstypen ihre Imperien errichteten, ereignete sich eine weitere Revolution auf diesem Sektor. Es war eine grundlegendere, tiefgreifendere Veränderung.
Als Gegenstücke zu den Webseiten mit Bildersammlungen professioneller Porno-Stars schufen Frauen oder Paare Seiten, die sich um sie selbst und ihre realen sexuellen Eskapaden drehten. Diese Leute versuchten nicht, von Pornografie zu leben. Diese Leute machten das aus Spaß. Es war der Exhibitionismus, der sie reizte. Das wurde ›Amateur-Pornografie‹ genannt.«
Callie verdreht die Augen. »Sie reden hier nicht mit Hinterwäldlern, Zuckerschnäuzchen. Ich denke, die meisten von uns wissen, was Amateur-Pornografie ist. Das ›Mädchen von nebenan‹, Swinger und was weiß ich.«
»Sicher. Entschuldigung. Ich rede wie ein Lehrer. Wichtig ist, dass die Nachfrage nach dieser Sorte von Pornografie, wie sich herausstellte, genauso groß war wie die Nachfrage nach professioneller Pornografie. So groß, dass die meisten dieser Frauen oder Paare es sich nicht leisten konnten, ihre Webseiten weiter gebührenfrei zu betreiben, als Hobby. Die Kosten für die zahllosen Zugriffe so vieler Betrachter waren atemberaubend. Also fingen auch sie damit an, Gebühren zu verlangen. Einige von ihnen, die früh damit angefangen hatten, verdienten Millionen. Und – das ist der entscheidende Punkt, den Sie verstehen müssen – es waren keine Leute aus der Porno-Industrie. Sie kannten niemanden in der Erwachsenenvideo-Branche. Sie waren nicht in Magazinen zu finden und auch nicht auf Porno-Videos. Es waren Menschen, die nicht vom Geld getrieben wurden, sondern von der Freude an dem, was sie taten.
Was auch immer
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