Die Blutlinie
Sie oder ich davon halten mögen – in der Porno-Industrie entstand auf diese Weise eine völlig neue Demografie. Mütter und Väter, Mitglieder der Eltern-Lehrer-Vereinigung, waren beteiligt. Nach außen hin ganz gewöhnliche Bürger, die ein geheimes Privatleben hatten und Geld scheffelten, indem sie es der Welt präsentierten.« Er wendet sich zu mir hin. »Das habe ich gemeint, als ich sagte, das stimme nicht. Ich habe die Webseite Ihrer Freundin gesehen. Es handelt sich nicht um harte Pornografie. Sie hat Softcore gemacht – keinen Sex mit anderen. Sie hat masturbiert und Spielzeuge benutzt und dergleichen. Sie hat Geld dafür genommen, dass man zusehen durfte, was ich nicht unbedingt gutheiße. – Eine Prostituierte war sie jedoch nicht.« Er sucht für ein paar Sekunden nach Worten. »Ich meine, ich weiß nicht, ob es Ihnen hilft, wenn Sie es so betrachten, aber …«
Ich lächle ihn müde an und schließe die Augen. »Ich habe eine Menge zu verdauen, Leo. Ich bin mir nicht sicher, was ich von alledem zu halten habe. Aber ja. Es hilft.«
Meine Gedanken wirbeln umher, wirbeln, wirbeln. Ich denke an Annie, die sich entschieden hat, ihren Lebensunterhalt mit nackten Posen zu verdienen. Ich frage mich, was für Geheimnisse die Menschen haben. Annie war immer wunderschön, und sie war immer ein wenig wild. Sexuelle Geheimnisse hätten mich absolut nicht überrascht – doch das hier? Es bringt mich aus der Fassung. Teilweise auch deshalb, weil ich unsicher bin, ob es mich abstößt oder fasziniert.
Ein Bild steigt in mir auf, plötzlich und ungebeten. Matt und ich waren beide sechsundzwanzig. Der Sex, den wir in jenem Jahr hatten, kann nur als spektakulär bezeichnet werden. Kein Bereich unseres Heims blieb jungfräulich. Es gab keine Stellung, die wir nicht ausprobierten. Ich hatte mir bergeweise neue Unterwäsche gekauft. Und das Beste daran war, dass wir nichts von alledem aufgrund eines bestimmten Konzepts taten. Wir versuchten nicht, die Dinge »aufzupeppen« – sie waren ganz von allein peppig. Wir waren betrunken voneinander und tollten in unbekümmerter Geilheit umher.
Ich war immer die sexuell Abenteuerlustigere von uns beiden gewesen. Matt neigte dazu, sich eher konservativ und zurückhaltend zu geben. Doch wie heißt es so schön? Stille Wasser sind tief. Er folgte meiner Führung in dunkle Reiche ohne jedes Zögern. Er konnte direkt neben mir aus voller Kehle den Mond anheulen. Das war eins der Dinge, die ich so an ihm geliebt habe. Er war ein wundervoller, sanfter Mann. Er konnte allerdings auch die Gangart wechseln, wenn ich es brauchte, konnte rau und hart und ein wenig gefährlich sein. Er war immer mein Held. Und wenn ich ein wenig einen Schurken brauchte, dann war Matt eben auch das.
Wir waren ein modernes Paar. Wir sahen uns hin und wieder gemeinsam unanständige Videos an. Ich war diejenige, die ihn hin und wieder dazu überredete, sich einige der Webseiten für Erwachsene mit mir anzusehen. Wir meldeten uns immer auf seinen Benutzernamen an. Auch wenn ich selbst Big Brother war, so war ich gegenüber Big Brother paranoid. Ich konnte mir nicht erlauben, den Namen des FBI zu besudeln. Also sahen wir uns all die schmutzigen Bilder unter Matts Benutzernamen an. Ich neckte ihn immer deswegen, nannte ihn den Perversen in unserer Ehe.
Wir hatten eine Digitalkamera. Eines Abends in jenem Jahr kam mir, während er im Geschäft war, eine verrückte Idee. Ich streifte meine Sachen ab und schoss ein paar Nacktfotos von mir vom Hals an abwärts. Mit klopfendem Herzen und einem irren Grinsen lud ich die Bilder auf eine Webseite, die solche Dinge sammelte. Als Matt nach Hause kam, hatte ich mich längst wieder angezogen und gab mich ausgesprochen gesittet.
Eine Woche verging, und irgendwie hatte ich die Sache vergessen. Ich war in einen Fall vertieft. Außer Essen und Schlafen und Sex und Matt stand nichts auf meiner Agenda. Ich kam spät nach Hause und stapfte erschöpft ins Schlafzimmer hoch. Dort fand ich Matt auf dem Bett liegend, die Hände hinter dem Kopf verschränkt, und er sah mich ganz merkwürdig an.
»Willst du mir vielleicht etwas sagen?«
Ich blieb verwirrt stehen. Dachte nach. »Nicht, dass ich wüsste. Warum?«
»Komm mit.« Er erhob sich vom Bett und ging an mir vorbei in Richtung unseres Arbeitszimmers. Ich folgte ihm rätselnd. Er setzte sich an den Schreibtisch, wo unser Computer stand, und bewegte die Maus, um den Bildschirmschoner zu beenden.
Was ich sah, ließ mich so
Weitere Kostenlose Bücher