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Die Blutlinie

Die Blutlinie

Titel: Die Blutlinie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cody Mcfadyn
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bleibst hier, so lange es sein muss. Aber wenn du wieder rauskommst, bist du nicht allein. Ich werde hier sein für dich. Ich werde für dich sorgen.« Ich weine jetzt ungehemmt, doch es ist mir egal. »Ich habe deine Mutter geliebt, meine Süße. Ich habe sie sehr geliebt. Ich wünschte, sie und ich hätten mehr Zeit miteinander verbracht. Ich wünschte, ich hätte dich häufiger gesehen.« Ich lächle schief durch meine Tränen hindurch. »Ich wünschte, du und Alexa, ihr hättet euch gekannt. Ich glaube, du hättest sie gemocht.«
    Meine Benommenheit nimmt zu, und die Tränen strömen unaufhörlich über mein Gesicht. Manchmal ist Trauer so. Wie Wasser. Sie findet eine Öffnung, zwängt sich hindurch, weitet den Riss, bis sie explosionsartig hervorbricht, unaufhaltsam und unausweichlich. Bilder von Alexa und Annie durchzucken mein Bewusstsein und verwandeln das Innere meines Kopfes in eine irrsinnige, stroboskoperleuchtete Disco. Mir bleibt nur ein kurzer Augenblick, in dem ich begreife, was mit mir geschieht. Ich werde ohnmächtig.
    Dann wird alles dunkel.
     
    Dies ist der zweite Traum, und er ist wunderschön.
    Ich bin im Krankenhaus, und ich liege in den Wehen. Ich denke ernstlich darüber nach, Matt umzubringen für seinen Anteil an dem, was mich hierher geführt hat. Ich fühle mich in zwei Teile zerrissen, bin schweißgebadet, grunze wie ein Schwein, alles zwischen langen Schmerzensschreien.
    In mir bewegt sich ein menschliches Wesen, durch mich hindurch, will nach draußen. Es fühlt sich nicht gerade schön an, sondern so, als würde ich eine Bowlingkugel scheißen. Ich habe vergessen, welche Freude es sein soll, ein Baby zu haben. Ich will dieses Ding heraushaben aus mir. Ich liebe, hasse, liebe es, und all das schwingt in meinen Schreien und Flüchen mit.
    Die Stimme des Arztes ist ruhig, und ich wünschte, ich könnte ihm den dämlichen kahlen Schädel einschlagen. »Gut, Smoky, das Baby ist schon zu sehen! Noch ein paar Mal pressen, und es ist draußen. Los doch, nicht schlappmachen jetzt!«
    »Leck mich!«, schreie ich und presse. Doktor Chalmers blickt nicht einmal auf bei meinen Worten. Er holt seit vielen, vielen Jahren Babys auf die Welt.
    »Du machst das großartig, Honey«, sagt Matt. Ich umklammere seine Hand, und ein Teil von mir ist von der perversen Hoffnung erfüllt, dass ich ihm die Knochen zerquetsche.
    »Woher willst du das wissen?«, fauche ich. Mein Kopf schnappt durch die Wucht der nächsten Wehe zurück, und ich fluche wie noch nie in meinem Leben, blasphemische, ungeheuerliche Worte, die selbst den gröbsten Klotz erröten lassen würden. Im Raum hängt der Geruch von Blut und den Fürzen, die mir beim Pressen entwichen sind. Daran ist überhaupt nichts Schönes, denke ich, und ich würde euch am liebsten alle umbringen! Dann nehmen Schmerz und Druck gleichermaßen zu, etwas, das ich für unmöglich gehalten hätte. Ich habe das Gefühl, als müsste mein Kopf auf dem Hals rotieren, und ich fluche mit hemmungsloser Hingabe.
    »Noch einmal, Smoky«, sagt Dr. Chalmers zwischen meinen Beinen, noch immer ruhig und gelassen in diesem Mahlstrom.
    Ich höre ein schmatzendes, saugendes Geräusch. Ein erneuter Schmerz, Pressen, und dann – ist sie draußen. Meine Tochter ist auf die Welt gekommen, und die ersten Laute, die sie hört, sind meine gotteslästerlichen Flüche. Dann Stille, ein paar schnippende Geräusche, und dann etwas, das allen Schmerz und alle Wut und alles Blut beiseite drängt. Das die Zeit stillstehen lässt. Ich höre meine Tochter weinen. Sie klingt genauso wütend wie ich noch wenige Augenblicke zuvor, und es ist das Wunderbarste, was ich je gehört habe, die herrlichste Musik, ein unfassbares Wunder. Ich bin überwältigt und habe das Gefühl, als müsste mein Herz aufhören zu schlagen. Ich höre dieses Geräusch, sehe meinen Mann an und fange an zu heulen.
    »Ein gesundes Mädchen«, sagt Dr. Chalmers und richtet sich auf, während die Schwestern Alexa säubern und wickeln. Er sieht verschwitzt aus, müde und glücklich. Ich liebe diesen Mann, den ich noch Sekunden zuvor am liebsten totgeschlagen hätte. Er war ein Teil von dem hier, und ich bin ihm dankbar, auch wenn ich nicht aufhören kann zu heulen und keine Worte finde.
    Alexa wurde kurz nach Mitternacht unter Blut und Schmerzen und Flüchen geboren, und das ist etwas, was man nur wenige Male im Leben erfährt – einen Augenblick der Vollkommenheit.
    Sie ist auch nach Mitternacht gestorben, zurückgekehrt

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