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Die Blutlinie

Die Blutlinie

Titel: Die Blutlinie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cody Mcfadyn
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blickt grimmig drein. Vielleicht muss er daran denken, wie er vergangene Nacht in diesem Aufzug gestanden hat, bevor sie Bonnie entdeckt haben.
    Wir erreichen unsere Etage und steigen aus dem Lift. Wir gehen den Flur hinunter und um eine Biegung. Leo wartet vor der Wohnung. Er sitzt auf dem Boden, mit dem Rücken an die Wand gelehnt, den Kopf in den Händen.
    »Lass mich das machen«, murmelt Alan mir zu.
    Ich nicke und beobachte, wie er sich Leo nähert. Er kniet sich vor ihn hin und legt dem jungen Mann seine mächtige Hand auf die Schulter. Ich weiß aus Erfahrung, dass seine Berührung sanft ist, so gewaltig diese Pranke auch aussehen mag.
    »Wie geht es dir, Junge?«
    Leo blickt zu Alan auf. Sein Gesicht ist blassgrün. Es glänzt von kaltem Schweiß. Er versucht erst gar nicht zu lächeln. »Es tut mir Leid, Alan, ich hab die Beherrschung verloren. Ich hab es gesehen, und dann musste ich kotzen. Ich konnte nicht in der Wohnung bleiben; hab’s nicht mehr ausgehalten …« Er verstummt mutlos.
    »Hör zu, mein Junge.« Die Stimme des großen Mannes klingt ruhig, doch sie verlangt Aufmerksamkeit. Charlie und ich warten. So sehr wir auch nach drinnen wollen und unsere Arbeit machen – wir haben Mitgefühl mit Leo und dafür, was er im Augenblick durchmachen muss. Es ist ein entscheidender Moment für Leute mit unserem Beruf. Die Initiation. Die Blutweihe. Der Punkt, an dem man zum ersten Mal in den Abgrund sieht, an dem man herausfindet, dass der schwarze Mann wirklich existiert und sich tatsächlich all die Jahre unter dem Bett versteckt hat. Der Punkt, an dem man dem Bösen zum ersten Mal von Angesicht zu Angesicht gegenübersteht. Wir wissen, dass dies der Punkt ist, an dem Leo sich entweder erholen oder sich eine neue Arbeit suchen wird. »Du glaubst, dass irgendwas nicht mit dir stimmt, weil du das, was du gesehen hast, nicht ertragen konntest?«
    Leo nickt und sieht beschämt auf.
    »Da irrst du dich aber. Das Problem besteht darin, dass du zu viele Filme gesehen und zu viele Bücher gelesen hast. Sie vermitteln dir eine schwachsinnige Vorstellung davon, was es bedeutet, zäh zu sein. Wie sich ein Polizist zu verhalten hat, wenn er mit Leichen oder Gewalt und dergleichen konfrontiert wird. Du meinst, du müsstest einen smarten Spruch parat haben, ein Schinkensandwich in der Hand halten und vollkommen ungerührt sein und so’n Quatsch, stimmt’s?«
    »Ich schätze ja.«
    »Und wenn nicht, dann musst du wohl ein Weichei sein und dich schämen vor den alten Hasen. Scheiße, vielleicht glaubst du sogar, nur weil du kotzen musstest, wärst du nicht aus dem richtigen Holz gemacht für diesen Job.« Alan dreht sich zu uns um. »Wie viele Tatorte haben Sie gesehen, Charlie, bevor Sie aufgehört haben zu kotzen?«
    »Drei. Nein, vier.«
    Leos Kopf fährt hoch bei Alans Worten.
    »Wie war es bei dir, Smoky?«
    »Mehr als einmal, so viel steht fest.«
    Alan sieht wieder Leo an. »Bei mir waren es auch vier oder so. Selbst Callie hat gekotzt, obwohl sie es niemals zugeben würde, schließlich ist sie die Eiskönigin.« Er kneift die Augen zusammen. »Mein Junge, nichts im Leben bereitet dich darauf vor, so etwas zum ersten Mal sehen zu müssen. Absolut nichts. Es spielt keine Rolle, wie viele Bilder du dir angesehen oder wie viele Akten du gelesen hast. Der echte Tod ist etwas völlig anderes.«
    Leo sieht Alan an, und ich kenne diesen Blick. Es ist der Ausdruck eines an Verehrung grenzenden Respekts, mit dem ein Student seinen Mentor ansieht. »Danke.«
    »Kein Problem.« Beide erheben sich.
    »Sind Sie bereit, mich zu informieren, Agent Carnes?«, frage ich streng. Er braucht das jetzt.
    »Ja, Ma’am.«
    In sein Gesicht ist ein wenig Farbe zurückgekehrt, und er wirkt etwas gefasster als zuvor. Für mich sieht er einfach nur jung aus. Leo Carnes ist noch ein Baby, konfrontiert mit dem Mord und von nun an dazu verurteilt, alt zu werden, bevor seine Zeit gekommen ist. Willkommen im Club, Leo.
    »Nun, dann berichten Sie.«
    Seine Stimme klingt ruhig, als er zu sprechen anfängt. »Ich bin hergekommen und hab die ersten Checks gemacht und mich überzeugt, dass es keine Fallen und keine Computerviren gibt. Dann tat ich das, was man immer macht – nachsehen, welche Dateien zuletzt bearbeitet wurden. Es war eine Textdatei mit dem Namen Lies_mich_FBI.«
    »Tatsächlich?«
    »Ja. Ich hab die Datei geöffnet. Sie enthielt einen einzelnen Satz. ›Seht in der Tasche der blauen Jacke nach.‹ Ich konnte nirgendwo eine blaue

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