Die Blutlinie
sengender Schmerz wie ein Blitzschlag. Es ist Leid und Sehnsucht, tief und dunkel und aus ganzer Seele. Elainas Liebe ist machtvoll. Sie ist roh und elementar. Sie ist nichts, mit dem man spielen könnte, sie macht keine Gefangenen. Und sie ist in Bonnie gefahren wie ein Messer aus Sonnenlicht, hat ihren versteckten Schmerz tief im Innern blitzartig freigelegt. Alles in einem einzigen Augenblick. Einfach so.
Ich beobachte, wie Bonnie einen inneren Kampf verliert, beobachte, wie ihr Gesicht sich gegen ihren Willen verzieht, beobachte, wie lautlose Tränen über ihre Wangen kullern.
Elaina streckt die Arme aus, und Bonnie stürzt sich in sie. Elaina umschlingt sie, drückt sie an sich, streichelt ihr über das Haar und gurrt leise in dieser Mischung aus Englisch und Spanisch auf sie ein, an die ich mich so gut erinnern kann.
Ich bin sprachlos. Ein Klumpen füllt meine Kehle, verlangt nach Tränen. Ich kämpfe ihn zurück. Ich sehe Alan an. Er kämpft ebenfalls. Der Grund ist für uns beide der gleiche. Es ist nicht allein Bonnies Schmerz. Es ist Elainas Liebe, und Bonnies instinktives, augenblickliches Wissen, dass Elainas Arme ein Ort der Sicherheit sind, wenn irgendetwas schmerzt.
Das ist Elaina. Sie ist eine Urmutter.
Der Augenblick scheint Ewigkeiten zu dauern. Schließlich löst sich Bonnie von ihr, wischt sich mit den Händen über das Gesicht.
»Besser jetzt?«, fragt Elaina.
Bonnie sieht sie an, schenkt ihr ein erschöpftes Lächeln zur Antwort. Es ist nicht nur ihr Lächeln, das erschöpft ist. Sie hat sich soeben einen Teil ihrer Seele aus dem Leib geweint, und das hat sie viel Kraft gekostet.
Elaina streichelt ihr mit einer Hand über die Wange. »Bist du müde, Baby?«
Bonnie nickt und blinzelt mühsam. Ich merke, dass sie fast im Stehen einschläft. Elaina nimmt sie ohne ein weiteres Wort auf den Arm. Bonnies Kopf sinkt gegen ihre Schulter, und von einer Sekunde zur anderen ist sie tief und fest eingeschlafen, einfach so.
Wir waren Zeugen von etwas Magischem. Elaina hat ihr den Schmerz ausgesaugt, und jetzt kann sie schlafen. Nach ihrem Besuch im Krankenhaus damals habe ich ebenfalls die ganze Nacht geschlafen. Zum ersten Mal seit Tagen.
Es trifft mich schwer, als ich Bonnie dort in ihren Armen sehe, schlafend, voller Vertrauen. Ich hasse mich für meine Selbstsucht, doch ich kann nichts gegen die Angst tun. Was, wenn Bonnie dieser wunderbaren Frau zu nahe kommt und sie ebenfalls verliert? Der Gedanke an diese Möglichkeit macht mir furchtbare Angst, eine Angst, wie sie nur eine Mutter empfinden kann.
Elaina blinzelt mir zu und lächelt. »Keine Sorge, Smoky, ich laufe nicht weg mit ihr.« Ein unglaubliches Einfühlungsvermögen, wie immer. Ich fühle mich beschämt. Doch sie lächelt weiter, und ihr Lächeln spült meine Scham davon. »Ich denke, wir kommen hier zurecht. Ihr beide könnt beruhigt zur Arbeit gehen.«
»Danke«, murmele ich. Ich kämpfe noch immer gegen den Kloß in der Kehle.
»Wenn du mir danken möchtest, Smoky, dann komm heute Abend zum Abendessen zu uns.« Sie tritt zu mir und berührt mein Gesicht. Die Seite mit den Narben. »Besser«, sagt sie. Dann, entschieden: »Definitiv besser.«
Sie gibt Alan einen kleinen Kuss, dann geht sie davon, und diese elementare Liebe und Güte folgen ihr. Sie verändert alles, was sie berührt, allein durch ihr Wesen.
Alan und ich gehen nach draußen. Wir bleiben für einen Moment auf der Veranda stehen. Bewegt und benommen und ein wenig zittrig.
Alan durchbricht die Stille, nicht mit Worten, sondern mit Taten. Diese riesigen Catcherhände fliegen in einer einzigen, plötzlichen, verzweifelten Bewegung vor sein Gesicht. Seine Tränen sind so lautlos wie die von Bonnie vorhin, und es schmerzt mich genauso sehr, sie mit anzusehen. Der sanfte Riese erzittert. Ich weiß, es sind Tränen der Angst. Ich verstehe. Mit Elaina verheiratet zu sein muss einem das Gefühl vermitteln, als wäre man mit der Sonne selbst verheiratet. Er hat Angst, sie zu verlieren. Für immer allein in der Dunkelheit zurückzubleiben. Ich könnte zu ihm sagen, dass das Leben weitergeht, bla-bla-bla.
Ich weiß es besser.
Also lege ich stattdessen eine Hand auf seine Schulter und lasse ihn weinen. Ich bin nicht Elaina. Doch ich weiß, dass er sie niemals seine Sorge und seinen Schmerz so sehen lassen würde wie jetzt mich. Ich tue mein Bestes. Ich weiß aus Erfahrung, dass es nicht genug ist, aber es ist besser, viel besser als überhaupt nichts.
Der Sturm zieht
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