Die Blutlinie
Callie und hebt abwehrend die Hand. »Im Augenblick gibt es nichts zu erzählen.« Ihr Handy klingelt, und sie wendet sich ab, um das Gespräch anzunehmen.
Der Vorhang vor Callie hat sich wieder geschlossen. Ich bin erleichtert, und ich kann sehen, dass es den anderen ebenso geht. Es bedeutet, dass mit ihr alles in Ordnung ist. Jeder von uns wäre ohne Zögern für sie da, doch Callie so verwundbar zu sehen, hat uns ziemlich beunruhigt. Ich frage mich, ob das mit ein Grund dafür ist, dass sie sich wieder abgeschottet hat. Nicht, um sich zu schützen, sondern uns.
Alan durchbricht das Schweigen. »Ich gehe die Akten über Annie noch mal durch«, sagt er. »Irgendwas stört mich an der Sache. Ich weiß nicht genau, was.«
Ich nicke abgelenkt. Vielleicht bin ich auch müde. Ich blicke auf meine Uhr und sehe schockiert, dass es schon fast Feierabend ist.
Nicht, dass die gewöhnlichen Dienstzeiten für uns mehr wären als reine Theorie. Meist steht viel zu viel auf dem Spiel bei unserer Arbeit. Es ist ähnlich wie im Krieg. Wenn die Kugeln fliegen, schießt du zurück, ganz gleich, wie spät es ist. Und wenn du eine Gelegenheit hast, den Gegner zu besiegen, ergreifst du sie, ob es nun vier Uhr morgens oder vier Uhr nachmittags ist. Die andere Parallele besteht darin, dass man die Zeiten der Ruhe ausnutzt, die Gelegenheiten zum Rasten, weil man nicht weiß, wann es wieder losgeht.
Das hier scheint eine von diesen Zeiten zu sein, also treffe ich die Entscheidung, die jeder gute Feldherr treffen sollte.
»Ich möchte, dass wir alle nach Hause fahren«, sage ich. »Morgen geraten die Dinge vielleicht erneut aus dem Ruder. Vielleicht noch mehr als heute. Schlaft euch aus.«
James kommt zu mir. »Ich bin erst mittags da«, sagt er leise. »Morgen ist wieder der Tag.«
Ich brauche einen Moment, um zu begreifen, was er meint. »Oh.« Ich runzele die Brauen. »Tut mir Leid, James. Ich hatte es ganz vergessen. Bitte bestell deiner Mutter liebe Grüße.«
Er wendet sich ab und verlässt das Büro ohne ein weiteres Wort.
»Ich hatte es ebenfalls vergessen«, meint Callie. »Wahrscheinlich, weil es Damien menschliche Züge verleiht.«
»Was vergessen?«, fragt Leo.
»Morgen jährt sich der Todestag von James’ Schwester«, erläutere ich. »Sie wurde ermordet. Sie fahren jedes Jahr zu ihrem Grab.«
»Oh.« Er zieht die Mundwinkel hinunter. »Scheiße, Mann!«
Es kommt mit einer leidenschaftlichen Vehemenz, die mich verblüfft. Er winkt ab. »Entschuldigung. Es ist nur … diese Scheiße geht mir an die Nerven.«
»Willkommen im Club, Zuckerschnäuzchen«, kommentiert Callie.
»Ja. Schätze, so ist es.« Er atmet tief durch, stößt die Luft wieder aus. Fährt sich mit der Hand durch das Haar. »Wir sehen uns morgen.« Er geht, winkt ein letztes Mal, halbherzig.
Callie blickt ihm hinterher, nachdenklich. »Der erste Fall ist immer hart. Und dieser hier ist ganz besonders übel.«
»Ja. Trotzdem, ich schätze, er kommt damit zurecht.«
»Das denke ich auch. Ich war zu Anfang nicht sicher, was ihn betrifft, doch der kleine Leo entwickelt sich gut.« Sie sieht mich an. »Und? Was machst du heute Abend?«
»Sie kommt zum Essen zu uns, wenn du es genau wissen willst«, poltert Alan. Er sieht mich an. »Elaina besteht darauf.«
»Ich weiß nicht …«
»Du solltest hingehen, Smoky. Es würde dir gut tun«, sagt Callie. Sie sieht mich bedeutungsvoll an. »Und vielleicht wäre es auch gut für Bonnie.« Sie geht zu ihrem Schreibtisch, schnappt ihre Handtasche. »Außerdem mache ich das Gleiche.«
»Was denn, du gehst auch zu Alan?«
»Nein, Dummerchen. Das war meine Tochter am Telefon.« Sie zögert. »Es klingt eigenartig, nicht wahr? Wie dem auch sei – ich bin heute Abend bei ihr und meinem … meinem Enkel zum Essen eingeladen.«
»Das ist ja großartig, Callie!« Ich grinse sie an. »Oder sollte ich jetzt Oma zu dir sagen?«
»Nicht, wenn du mit mir befreundet bleiben möchtest«, entgegnet sie kühl. Sie wendet sich ab, geht zur Tür, bleibt stehen und dreht sich noch einmal zu mir um. »Geh zu Alan. Mach irgendwas Normales, mit anderen Menschen.«
»Nun?«, fragt Alan. »Kommst du jetzt, oder kriege ich wegen dir Ärger mit Elaina?«
»Herrgott noch mal, nein. Ich komme.«
Er grinst. »Gut. Wir sehen uns bei mir zu Hause.«
Dann ist auch er weg, und ich bin allein im Büro. Ich werde Callies Rat befolgen. Den Ausschlag hat ihre Bemerkung über Bonnie gegeben. Es sei gut für sie. Bestimmt besser, als mit
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