Die Blutlinie
das Richtige zu tun, und ich bin glücklich, wenn ich häufiger Lächeln sehe als Schmerz. Ich bin kein Held; ich werde bestimmt nicht in irgendwelchen Geschichtsbüchern erwähnt werden. Doch hier bin ich, und es macht mir eine ganze Menge aus. – Warum also ich?
Ich kann ihnen nicht sagen, was ich wirklich denke. Warum? Weil du lebst, weil du atmest, weil du gehst und stehst und weil das Böse existiert. Weil die kosmischen Würfel auf dich gefallen sind. Entweder hat Gott dich an jenem Tag vergessen, oder es ist Teil seines großen Plans. Such dir aus, was du willst. Die Wahrheit lautet, dass schlimme Dinge eben passieren, irgendwo, Tag für Tag. Und heute warst du an der Reihe.
Manche Menschen mögen das eine zynische Ansicht nennen. Mich für meinen Teil hält diese Ansicht gesund. Sonst würde ich womöglich anfangen zu glauben, dass es die Bösen sind, die es richtig machen. Ich ziehe es vor, zu glauben, dass sie im Unrecht sind. Tatsache ist, dass das Böse der Feind des Guten ist, und heute hatte das Gute eben einen schlechten Tag. Diese Ansicht lässt es wahrscheinlich erscheinen, dass morgen das Böse an der Reihe ist, einen schlechten Tag zu haben. Und das nennt man Hoffnung.
Nichts von alledem ist hilfreich, wenn sie dich nach dem Warum fragen, also erzähle ich ihnen irgendwas, genau wie eben Elaina. Manchmal hilft es, lindert ihren Schmerz. Meist aber nicht, weil man für gewöhnlich, wenn man diese Frage stellt, nicht wirklich an einer Antwort interessiert ist.
Elaina jedenfalls denkt über meine Antwort nach. Als sie mich wieder ansieht, bemerke ich eine unvertraute Emotion in ihrem Gesicht. Wut. »Schnapp diesen Mann, Smoky. Hörst du? Schnapp ihn dir!«
Ich muss schlucken. »Ja.«
»Gut. Ich weiß, dass du ihn kriegst.« Sie setzt sich auf. »Kannst du mir einen Gefallen tun?«
»Jeden.« Ich meine es ernst. Würde sie mich bitten, ihr einen Stern vom Himmel zu pflücken, würde ich selbst das versuchen.
»Sag Alan, wenn du runtergehst, dass er zu mir kommen soll. Ich kenne ihn. Er sitzt da und macht sich Vorwürfe. Sag ihm, dass er damit aufhören soll. Ich brauche ihn.«
Erschüttert, aber wieder so stark wie eh und je. Erneut wird mir bewusst, was ich ohnehin schon längst weiß: Ich liebe diese Frau. »Mach ich.« Ich sehe Bonnie an. »Komm, wir gehen, Liebes.«
Sie schüttelt den Kopf. Tätschelt Elainas Schulter, packt sie, besitzergreifend. Ich runzele die Stirn. »Schatz, ich denke, wir sollten Elaina und Alan heute Abend allein lassen.«
Sie schüttelt erneut den Kopf, entschieden, heftig. Nein. Ganz sicher nicht.
»Von mir aus kann sie gern hier bleiben, falls du nichts dagegen hast. Bonnie ist so süß.«
Ich sehe Elaina an, sprachlos. »Bist … bist du sicher?«, frage ich schließlich.
Sie streichelt Bonnie den Kopf. »Absolut.«
»Na schön, meinetwegen …« Außerdem wäre offenbar ein Wunder erforderlich, um Bonnie jetzt von Elaina zu lösen. »Dann gehe ich jetzt. Bonnie, wir sehen uns morgen früh.«
Sie nickt. Ich gehe zur Tür, drehe mich um, als ich leise, leichte Schritte hinter mir höre. Bonnie ist vom Bett aufgestanden, steht hinter mir, sieht zu mir auf. Sie nimmt meinen Arm, zieht mich zu sich herunter, sieht mir in die Augen. Sie sind voller Sorge.
Sie zeigt auf sich, dann tätschelt sie mich. Erneut. Insistierend. Und erneut. Die Sorge in ihrem Gesicht wird noch stärker. Endlich begreife ich. Ich erröte, und meine Augen brennen. »Ich gehöre zu dir«, sagt Bonnie mit ihrer Geste, »ich bleibe hier, um Elaina zu helfen. Aber ich gehöre zu dir.« Sie will, dass ich dies begreife. Ja, Elaina ist eine Urmutter. Doch ich gehöre zu dir.
Ich spreche nicht. Stattdessen nicke ich zur Antwort und drücke sie an mich, bevor ich das Schlafzimmer verlasse.
Unten steht Alan am Fenster und starrt in die heraufziehende Dämmerung.
»Sie hat sich wieder gefangen, Alan. Ich soll dir sagen, dass du dir keine Vorwürfe machen sollst und dass sie dich braucht. Oh, und Bonnie bleibt heute Nacht bei euch. Sie hat sich geweigert, von Elainas Seite zu weichen.«
Diese Nachricht scheint ihn ein wenig aufzumuntern. »Tatsächlich?«
»Ja. Sie ist sehr fürsorglich.« Ich tippe ihm gegen die Brust. »Du weißt, dass ich mit dir fühle, Alan. Du weißt, dass es so ist. Aber du musst dich endlich aufraffen und nach oben gehen und deine Frau in die Arme nehmen.« Ich grinse. »Sonst hast du Bonnie im Genick.«
»Ja«, sagt er nach einer Weile. »Du hast Recht.
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