Die Blutmafia
Kiefer. »Er ist Regierungsdirektor. Genauer – das war er. In den ganzen kritischen Jahren, als die große Schweinerei passierte, in diesen Jahren, als sich keiner so richtig für zuständig erklären wollte, da war Hampel der Verantwortliche für die Bearbeitung der Aids-Problematik im Bundesgesundheitsamt in Berlin. Er war also der Chef der Zentrale. Er war es, der die Proteste der Hämophilen unter den Teppich schob, so laut sie auch wurden; er war es, der Beschwichtigungspolitik nach allen Seiten betrieb, die schlimmsten Dinge kleinredete, der seine Minister nicht korrekt informierte, und wo immer etwas hochkochen wollte, seine schützende Hand über die Freunde in der Industrie hielt. Schön, jetzt haben sie ihn geschaßt. ›Vorzeitig in den Ruhestand versetzt‹ heißt so was. Jetzt kann er endlich seine Konten genießen, die ihm Leute wie Engel aufgefüllt haben. Und außerdem läuft sein Gehalt weiter. Eines Tages wird er ohne Sorgen wohlhabender Pensionär sein – wenn wir schon die Radieschen von unten betrachten.«
Rio brachte keine Antwort zustande, in ihm waren nur Fragen. Aus einem offenen Fenster des Hauses wehte Klaviermusik heran. Irma deckt den Tisch … dachte er.
»Sie sagten, ›er ist dran‹?«
Ludwig Kiefer setzte sich wieder. Er schob den Kopf vor. »Rio, das heißt genau das, was du denkst. Rio, du bist der erste und der einzige Mensch, mit dem ich darüber spreche. Ich habe mich entschlossen, ihn umzubringen. Ihn und Engel …«
Rio versuchte zu schlucken, doch sein Mund war zu trocken. Er konnte nicht glauben, was er gehört hatte.
»Sie?«
»Ja – ich.« Kiefer schob das Bild in den Umschlag zurück. »Schau mich nicht so an. Natürlich traust du mir das nicht zu. Kannst du auch gar nicht, so wie ich beieinander bin. Aber das wird sich ändern. In der Klinik bringen die mich schon wieder in die Gänge. Darauf kannst du dich verlassen. Sicher, es wird nur ein Strohfeuer sein, so wie die ganze Zeit, aber das reicht. Ich muß schließlich nicht länger als fünf Tage durchhalten. Und das werde ich, darauf kannst du dich verlassen …«
Schweigen. In Rios Ohren war ein feines Summen. Doch die Kopfschmerzen waren verschwunden, waren wie weggewischt. Er versuchte zu verarbeiten, was er gehört hatte. Es gelang nicht. Die Vorstellungen schoben sich übereinander wie die Farben eines Kaleidoskops: Cala d'Or, Engels Yacht, das Haus … Und nun einer, der Bernhard Hampel hieß und sicher irgendwo in Berlin wohnte.
Und dieses Gespenst hier, dieses klapprige Gestell von Ludwig Kiefer wollte …?
Er fühlte nun die Kühle, die aus den dunklen Schatten der Tannen herüberkam und sie beide umfing. So still war es. Sie saßen an ihrem Tisch wie auf einer Insel. »… im selben Boot«, hatte Dieter Reissner gesagt? – Dieter war tot, sie beide lebten noch … Und dann verstand er. Einfach darauf zu warten, bis es vorüber ist, sich zu ergeben, alles für unvermeidlich und unabänderbar zu halten, während ein Engel, während ein korrupter Lump wie dieser Hampel …
»Würdest du mir dabei helfen, Rio?«
Er nickte. Die Bewegung kam ganz spontan, wie aus einem inneren Zwang heraus.
»Ich habe es mir erhofft, Rio …«
Kiefers Hand kroch herüber und streichelte seine Hand.
»Es muß sein«, flüsterte er. »Glaub mir. Es wird das Signal, das alles ändert. Und wir brauchen das Signal. Nicht nur wir, auch die anderen. Doch es gibt eine große Schwierigkeit …«
»Welche?«
»Der synchrone Ablauf. Die Gleichzeitigkeit. Schon wegen der Wirkung auf die Medien wäre es am besten, wenn es am gleichen Tag und nur mit wenigen Stunden Unterschied geschehen könnte. Ich habe da einige Vorstellungen … Nun, ich werde jetzt in die Klinik gehen und darüber nachdenken. Ich finde die Lösung, glaube mir …«
Er nahm einen Zettel und schrieb eine Telefonnummer auf. »Hier, das ist die Nummer des Krankenhauses. Vielleicht kannst du mich dort mal anrufen …«
Der schwere Geländewagen war von der Straße abgebogen und nahm den ersten der Hügel, die in sanften Wellen zum Berg hochführten, verschwand jetzt, kam wieder zum Vorschein, diesmal eine Staubwolke hinter sich herziehend, die langsam in dem hohen Zypressenspalier verwehte, das den Eingang der ›Can Rosada ‹ bildete.
Irena ließ ihr Magazin sinken und legte die Hand an die Stirn, um die Augen vor dem Licht zu schützen. Madalena, die wie jeden Samstag vom Verwalterhaus herübergekommen war, um mit ihr den Verlauf des Abends zu
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