Die Blutmafia
natürlich geht jetzt die Mutter gerichtlich gegen ihn vor. Doch ein Engel schert sich um so was ja nicht.«
»Und sie wohnt bei ihm?«
»Ja.«
»Woher wissen Sie das alles? Wo haben Sie die Fotos, das ganze Material her?«
»Wollen wir uns damit aufhalten?«
»Aber das ist doch ein ganzes Dossier?«
»Wenn ich mich mit etwas beschäftige, lieber Rio, kommt leicht ein Dossier zustande.«
Er hüstelte erneut. Rio machte sich Sorge, daß wieder einer seiner schrecklichen Hustenanfälle ihn überkommen könne. Er hatte sich getäuscht. »Dies ist mit Sicherheit das wichtigste Dossier, das ich in meinem Leben zusammengestellt habe. Und auch das letzte …«
So hinfällig er sein mochte, die Stimme klang fest und klar. Auch die Augen hatten ihre eigenartige Lebendigkeit zurückgewonnen: »Du kannst dir das alles durchlesen, Akte um Akte. Mitgeben werde ich dir's nicht. Leider ist eine Menge des Materials auf Spanisch verfaßt. Meine Kontakte aus alten BKA-Zeiten funktionieren noch. Und in diesem Fall, das kannst du mir glauben, hab' ich sie alle eingesetzt. Vor allem meine Freundschaft zu Pablo Vidal, einem Oberst der Guardia Civil. Als Drogenspezialist ist er jetzt im Gobierno Civil in Palma eine Art Sonderbeauftragter. Und das heißt, daß er Zugang zu allen spanischen Polizeikörperschaften hat. Er ist mein Mann auf Mallorca.«
Wieder fiel Rios Blick auf Engels Gesicht. Und wieder spürte er dieselbe Mischung von Ekel und Haß. Kiefer hatte also einen ›Mann auf Mallorca‹. Und der beobachtete Engel, oder er ließ ihn beobachten. Mallorca? Vor diesem ganzen Hintergrund klang das Wort beinahe obszön.
»Rio …«
Der Tisch schwankte. Ludwig Kiefer hatte beide Hände auf die Lehnen seines Liegestuhls gelegt und schob sich hoch. Die Decke fiel. Auf dem Tisch war noch ein Blumentopf stehengeblieben. Rio hielt ihn rasch fest, ehe er vollends umkippte.
Kiefer schien es nicht zu bemerken. »Rio, ich will jetzt mit dir über das Projekt reden.«
Er setzte sich in Bewegung, ging auf der Terrasse auf und ab, aufrecht, das Kinn hoch, die Hände in den Taschen seiner unmöglichen, sackartigen braunen Trainingshose versenkt.
»Projekt klingt vielleicht etwas zu großartig; noch ist es nichts als ein Plan.«
Er war an der Balustrade stehengeblieben und blickte zu Rio herüber. Trotz der Entfernung war seine Stimme klar und deutlich: »Die Voraussetzung zu jedem Plan ist, daß man die Situation auf den Punkt bringt. Ich habe das getan. Für mich bleibt nur eines: Schluß zu machen. Die Fahrkarte habe ich schon. Es ist nicht besonders schwierig – du beißt auf eine kleine Kapsel und schluckst. Und teuer war das Ticket auch nicht …« Er verzog den Mund zu einem gespenstischen Grinsen: »Ich meine, wenn man die Länge der Reise dabei in Betracht zieht.«
Die Länge der Reise … Rio spürte die Kälte, die über seinen Nacken kroch. Sein Rücken verspannte sich. Er saß stocksteif da, die Hände auf den Knien. Die Nacht … Der Gedanke daran, was er Vera angetan haben konnte … angetan durch ihre, durch seine Liebe … Die kleine Schlange, die schwarze kleine Schlange … Da war sie wieder …
»Doch das alles ist nicht das Problem. Das Problem liegt woanders …«
Kiefer kam wieder an den Tisch, hatte nun die geschuppten, fleckigen Klauenhände zu Fäusten geballt. Beide waren mit spitzen Knöcheln gegen die Eisenplatte gepreßt. »Das Problem ist, daß ich nicht daran denke, allein zu gehen. Ich kann, ich darf das nicht. Da müssen andere mit.«
»Engel?« Rios Stimme war leise und atemlos.
»Engel, ja. Natürlich. Aber nicht nur er … Und darin liegt meine Schwierigkeit. Denn da ist noch einer, der drankommen muß …«
Rio starrte ihn aus weit aufgerissenen Augen an. Er versuchte zu begreifen …
Nun griff Ludwig Kiefer selbst zu, sortierte Papiere und Akten, nahm einen Umschlag und zog eine Fotografie heraus.
»Hier – der!«
Es war eine jener sorgsam ausgeleuchteten Porträtaufnahmen, die eigentlich in einen Silberrahmen gehören. Sie zeigte das quadratische, ziemlich verfettete Gesicht eines Mannes, der wohl die Fünfzig längst überschritten hatte. Die modische Fassung seiner Metallbrille verlieh ihm einen Hauch von Bedeutung und Intellektualität, doch der Mund wirkte schmal und verkniffen, und die Augen sahen wichtigtuerisch den Betrachter an. Es war … ja, es war ein Beamtengesicht, so typisch, daß es wie aus einer Maschine gestanzt wirkte.
»Er heißt Bernhard Hampel«, sagte Ludwig
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