Die Blutmafia
muß ich ihr ja wohl helfen. Nicht wahr, das verstehen Sie doch?«
»Natürlich verstehe ich das. Vielleicht kann ich später nochmals vorbeikommen?«
»Vielleicht … Ich gebe Ihnen meine Telefonnummer. Sie können ja vorher anrufen.«
Mist! Er verfluchte seine Bereitschaft zur Kapitulation. Aber wenn sie Beruhigungsmittel genommen hatte, war wohl auch nichts zu machen. Er zögerte noch immer. Als er sich umdrehen wollte, öffnete sich die Tür auf der linken Seite des Raums. Ein Mädchen kam heraus. Ein Mädchen im Trainingsanzug. Das runde Gesicht war sehr blaß unter den dunklen Haaren.
»Er ist ein Bekannter von Frau Reissner«, sagte die alte Frau.
Das Mädchen nickte mechanisch wie eine Puppe.
»Darf ich Sie einen Moment sprechen?« fragte Rio mit weicher Stimme.
Sie nickte wieder.
»Könnten wir vielleicht in Ihrem Zimmer …?«
»Also, Iris, ich weiß nun wirklich nicht, ob das richtig ist. Und schon gar nicht weiß ich, ob es zu verantworten wäre, wenn …«
Aber sie ließ ihn eintreten und schloß einfach die Tür. Das Zimmer war abgedunkelt. In der Ecke lief ein Tischfernseher ohne Ton. Tennis. Einer der Spieler war Edberg, und er zeigte sein Pokergesicht. Er wartete auf den Aufschlag des Gegners. In dem bißchen Licht, das das Gerät ausstrahlte und das durch die geschlossenen Vorhänge hereinfiel, war Iris nicht viel mehr als ein Schatten.
Er räusperte sich. Der Satz, den er nun sagte, überraschte ihn selbst: »Ich bin von der Presse«, sagte Rio. »Was ich Frau Kornhaus gerade sagte, stimmt nicht.«
Sie setzte sich aufs Bett. Nun konnte er ihr Gesicht erkennen. Es war vollkommen ausdruckslos. Sie sah ihn ruhig an, als habe er eine ganz selbstverständliche Eröffnung gemacht.
»Fräulein Widmer, ich kann mir gut vorstellen, wie Ihnen zumute ist – und was Sie über mich denken. Ich möchte Ihnen sagen, daß ich Ihnen dankbar bin, da Sie mich nicht wegschicken.«
Sie rührte sich noch immer nicht. Die Hände lagen in ihrem Schoß. Rio fragte sich, ob sie überhaupt zuhörte. Sollte er sich vielleicht in den kleinen Sessel am Bett setzen, ihre Hände nehmen? Zu früh … Und vor allem: Kein Wort über das Kind!
»Fräulein Widmer, es ist furchtbar, was geschehen ist. Wir wissen es beide. Aber wir beide wissen auch, daß herausgefunden werden muß, wie es geschehen ist.«
»Herausfinden?« Ihre Stimme war überraschend klar und fest. »Was gibt's denn da noch herauszufinden?«
»Eigentlich nur eines.« Er setzte sich nun doch. »Was konnte Herrn Reissner veranlassen, so etwas zu tun?«
»Wie soll ich das wissen?«
»Aber Sie haben doch sicher darüber nachgedacht!«
Sie schüttelte den Kopf.
»Was war er für ein Mensch?«
Nun sah sie hoch und fuhr sich mit einer hektisch-unkontrollierten Bewegung über das Gesicht. »Ein Mensch? – Er war überhaupt kein Mensch.«
»Wie soll ich das verstehen?«
»Eine Maschine war der. – Nichts als eine Maschine …«
»Aber mir wurde gesagt, daß er seine Familie sehr geliebt hätte.«
»Vielleicht … Was er so unter Liebe verstand …«
Rios Augen hatten sich an die Dunkelheit gewöhnt. Er zwang sich, nicht hinüber zu der kleinen Fotografie zu blicken, die in einem Silberrahmen auf dem kleinen Tischchen neben dem Bett stand. Es war das Farbfoto eines Kindergesichtes. Es war das Gesicht, das ihm schon Novotny gezeigt hatte. Auf dem Foto lachte die kleine Elfi und war lebendig …
»Aber er hat doch …«
»Er hat gar nichts. Wann denn? Er hatte ja gar keine Zeit für seine Familie! Ja, er hat so getan, aber er war eigentlich immer weg. Er kannte doch nur sich und die Firma. Er kannte nur seinen Job. Für mich … für mich war der Mann krank …«
»Iris«, sagte Rio so weich und so suggestiv, wie es ihm möglich war, »tun Sie ihm da nicht ein wenig Unrecht? Der Mann war sicher überarbeitet. Vielleicht war er krank …«
»Das sag' ich doch!«
»Aber war er wirklich krank? Wissen Sie etwas davon? Kam ein Arzt ins Haus? Hat er manchmal einen Arzt besucht?«
Wieder schüttelte sie den Kopf. Dann aber, ganz plötzlich, blickte sie hoch: »Ja, vielleicht besuchte er tatsächlich einen Arzt! So genau weiß ich das nicht. Aber der kam nie ins Haus …«
»Und woher wissen Sie …«
»Woher? Weil er mich einmal zu ihm gebracht hat. Ich hatte eine Magenkolik. Und Hanne – ich meine Frau Reissner – meinte, ich müßte sofort behandelt werden. Da fuhr er mich in eine Praxis am Rosenheimer Platz. Das war nicht weit von uns. Der
Weitere Kostenlose Bücher