Die Blutmafia
Schulaufgaben zu holen, die er vergessen hat. Und da dachte ich, ich schau' mal bei dir vorbei und kontrolliere, ob du noch bei Trost bist. Scheint nicht der Fall zu sein.«
»Bin ich auch nicht, Bruno.«
Bruno Arend ließ seinen Fotografenblick über die Biedermeiermöbel wandern. »Und Vera?«
»In Hamburg. Gestern nacht hat sie mich angerufen und mir vorgeschlagen, Zeitung und Stadt zu wechseln. Ich sagte, ich wechsle besser den Job.«
»Ärger? Was ist mit deiner Geschichte?«
Rio versuchte zu erklären, Bruno hörte gelangweilt zu, verpestete die Luft mit einer seiner ewigen Zigarren. Rio zweifelte, ob sein Fotografenhirn begriff, um was es ging. »Paß auf, Bruno …«
Das Summen des Telefons unterbrach ihn, und er dachte – Vera! Aber es war die Stimme aus dem Alptraum: Herzogs Stimme. Sie klang nicht wie Gott, sondern zögernd, leise, und doch entschlossen.
»Ich hoffe, ich störe Sie nicht«, sagte der Arzt.
»Wieso denn? Ich wollte Sie sowieso anrufen, Herr Doktor. Ich wußte nur nicht, ob es noch zu früh ist.«
»Es ist Mittag«, erwiderte Herzog sachlich. »Hören Sie, Herr Martin, ich habe mir vergangene Nacht alles durch den Kopf gehen lassen. Ich konnte überhaupt nicht schlafen.«
»Mir ging's ähnlich.«
»Na gut. Aber Sie wissen nicht meinen Grund. Es hat mit Dieters Tod zu tun. Da gibt es noch etwas …«
»Und?«
»Hören Sie«, sagte Herzog, »Reissner hat zwar seine Frau, sein Kind und sich selbst ermordet. Aber im Grunde war er schon tot, ehe er sich die Kugel durch den Kopf jagte. Er wurde zweimal ermordet. Aber das erste Mal waren es andere …«
»Das klingt nach ganz starkem Tobak, Herr Dr. Herzog.«
»Ist es auch.«
»Könnte es sein, daß er bei dieser Operation damals mit HIV infiziert worden ist? Ich habe mich die ganze Zeit mit dieser Frage beschäftigt, deshalb stelle ich sie Ihnen jetzt.«
»Es ist die richtige Frage«, kam es zurück.
»Ach ja? – Doktor, die Geschichte ist ein bißchen zu kompliziert, um sie am Telefon zu diskutieren. Könnten wir uns nicht treffen? Hätten Sie nicht Lust, mit mir in der Florians-Mühle einen kleinen Frühschoppen zu nehmen?«
»Auf einen Frühschoppen habe ich wahrhaftig keine Lust. Aber vielleicht wäre es gar nicht so schlecht, sich zu treffen.«
»Sagen wir – in einer halben Stunde. Schaffen Sie das?«
»Ich glaube schon.« Es klickte. Er hatte aufgehängt.
Rio sah Bruno Arend an: »Hast du deine Kamera dabei, Bruno?«
»Immer. Im Kofferraum.«
Er erläuterte Bruno, wer der Anrufer gewesen war, und sagte: »Wir sollten dort besser nicht gemeinsam aufkreuzen. Ich nehme an, das würde ihn stören. Er ist ziemlich fertig. Reissner war sein Freund. Umgekehrt, man weiß nie … Es wäre ganz gut, wenn du sein Foto im Kasten hättest.«
»Fürs Archiv, was?«
»Immer fürs Archiv«, grinste Rio. Er spürte, wie sein Kopf sich klärte. Die alte Maschine kam in Schwung, der Blutdruck stieg. »Paß auf, wir fahren am besten mit zwei Wagen dorthin. Du schießt ihn ab und verdrückst dich. Wir telefonieren dann wieder zusammen, okay?«
»Herrlicher Auftrag!« Bruno erhob sich. »Ich frag' mich immer, wieso ich mich mit einem Typ wie dir überhaupt beschäftige. Das frage ich mich übrigens seit Jahren. Und bin noch immer nicht dahintergekommen …«
»Vielleicht ist es mein Charisma«, antwortete Rio ironisch und ging ins Schlafzimmer, um sich anzuziehen …
Die Florians-Mühle lag am äußersten nördlichen Ende des Englischen Gartens; ein Biergarten, der in letzter Zeit in Mode gekommen war. Meist standen auf dem Parkplatz die Nobelkarossen, doch heute war es ziemlich leer. Ein frischer Wind war aufgekommen, und es sah aus, als würde es bald wieder regnen.
Die beiden Männer stiegen aus. Von den vielen Tischen im Garten waren nur drei besetzt. An zwei saßen Pärchen.
Abseits, unter einer der großen Kastanien, ein einzelner Mann: Herzog.
Rio steuerte auf ihn zu, der Arzt merkte es noch nicht einmal.
»Guten Morgen, Doktor!«
Nun sah er hoch. Vor ihm stand ein Glas Milch.
Rio deutete darauf und grinste: »Schlimm.«
»Ach«, meinte Dr. Jan Herzog und lächelte freudlos, »ein bißchen Aspirin regelt alles. Es gibt Schlimmeres …«
Rio zog den Stuhl näher an den Tisch und setzte sich. »Dann reden wir doch gleich vom Schlimmsten.«
Jan Herzog nickte. »Ja. Und es ist wahrscheinlich eine unglaubliche Sauerei.«
»Und wer hat die zu verantworten?«
»Wenn ich das wüßte …«
»Aber wie stellen Sie sich den
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