Die Blutmafia
Tonbandkassette. Es war das Format, das meist für Musikaufnahmen verwendet wurde. Die Kassetten in seinem Gerät waren um mehr als die Hälfte kleiner. »Vielen Dank, Herr Weigert.«
Er steckte das Kuvert in die Tasche seiner Jacke. Irgendwo in der Tiefe seines Gehirns formte sich eine Ahnung, doch der Gedanke war wohl zu abwegig …
Es war jetzt elf Uhr zwanzig.
Vierzig Minuten lang hatte er Polizistenfragen durchgestanden. Nicht nur der forsche, braungebrannte Inspektor Mühlen, auch Hauptkommissar Wendland war wieder mit von der Partie. Eines immerhin hatte Rio geschafft: Sie hielten sich an seine Bitte, Vera ungeschoren zu lassen, und schon gar nichts von dem Mord an Dagmar Reichenbach zu erwähnen. Sie bekamen Vera auch nicht zu Gesicht, denn er hatte darauf bestanden, auf dem Zimmer zu frühstücken – und gleich dabei wieder eine seiner nie endenwollenden Vera-Überraschungen erlebt: eine ausgeschlafene, gelassene, ja, heitere Vera.
»Was willst du eigentlich, Rio?« hatte sie verkündigt, als sie ihr Frühstücksei köpfte. »Wie willst du mich denn haben? Hysterisch? Zähneklappernd und mit Schweißausbrüchen? Was soll's denn sein? Ich hab's mir überlegt: Mich von 'nem ordinären Pipi-Sadisten fertigmachen zu lassen kommt überhaupt nicht in Frage. Da knips ich lieber vorher das Licht aus – so wie gestern abend. Im übrigen ist auch die Bewältigung eines Sadistenerlebnisses nur eine Frage des positiven Denkens.«
»… positiven Denkens?« hatte er gestaunt.
»Nun guck nicht so! Wär' doch 'n prima Stoff für 'n Drehbuch, meinste nicht? Das läuft dann so: Eine Frau, eine Superfrau sogar, ist mit 'nem Idioten von Journalisten zusammen, der sie überhaupt nicht verdient. Der Typ merkt gar nicht, was er an ihr hat. Da kann sie machen, was sie will, sich sexy herrichten, baden, nackt durchs Zimmer rennen – er sieht das nicht mal! Und warum? Weil er nichts im Kopf hat als seine dämliche Story …«
»Und? Was macht sie dann?«
»Na, was schon? Sie bestellt sich einen Sadisten. Einen, der im Wohnwagen hockt und mit Messern spielt. Der greift sie, schmeißt sie nach fünf Minuten aus dem Wohnwagen raus, die Hotelangestellten finden sie im Schock, und ihr Typ … He? An was denkst du?« Sie hatte mit der Hand vor seinen Augen herumgefuchtelt: »He! Hörst du überhaupt zu? Ja, bist du noch zu retten?«
Das war langsam wirklich die Frage!
Elf Uhr zwanzig also. Um zwölf Uhr fünfundfünfzig gab es einen LH-Flug Frankfurt - München. Verdammt spät, im Grunde aber eminent praktisch. Vera konnte in einer Stunde zu Hause sein, die Rückfahrt auf der Autobahn würde ihr erspart, und er hatte die Chance, gleich nach seiner Ankunft mit Novotny und Olsen zu konferieren und in der Redaktion seinen Bericht zu schreiben.
Bruno winkte mit seinem Leihwagenschlüssel: »Also, ich fahr' mal los!« Auch Bruno war dazu vergattert, Vera gegenüber keinen Ton über den Mord in der Oprechtstraße zu äußern. Er sah übernächtigt aus. Letzte Nacht war er wenigstens doch noch zum Schuß gekommen: Die Mordkommissions-Beamten hatten Tatortaufnahmen zwar nicht zugelassen, aber den Abtransport der Leiche konnte er fotografieren.
»Moment mal, Bruno. Einen Augenblick …«
Rio blätterte in seinem Taschentelefonverzeichnis und ließ sich den Hörer geben. Walter Leeb, einer der Chefs des LH-Booking-Dienstes am Flughafen Frankfurt, war tatsächlich sofort am Apparat.
»Hier spricht Rio Martin!«
»Ich ahne, was auf mich zukommt«, erwiderte eine übellaunige Stimme.
»Klar ahnst du! Und du hast recht. Für den Zwölf-Uhr-fünfundfünfzig-Flug brauche ich dringend einen Platz. Wäre das zu machen?«
»Moment …« Dann ein knappes: »Okay. Melde dich beim Reservierungsschalter.«
»Nicht ich. Meine Frau, Walter.«
»Okay, okay …«
Für die Strecke von Bernhagen zum Rhein-Main-Flughafen brauchten sie fünfzig Minuten. Fünf Minuten später beobachteten Rio und Bruno eine Vera, die mit schwingenden Hüften im Menschengewühl verschwand.
Bruno schüttelte den Kopf: »Das ist schon beachtlich, wie sie das alles weggesteckt hat, mein lieber Mann …«
»Beachtlich? Weltspitze ist das!«
Bruno gab den Leihwagen zurück, dann suchten sie die Ausfahrt zur Autobahn Mannheim, und nicht viel später bereits ließ Rio den Blick wieder wandern, um eine Parkplatzausfahrt zu entdecken. Dort!
Er schwenkte ein und brachte den Wagen zum Stehen.
»Und jetzt?« fragte Bruno.
»Jetzt, Bruno …« Er griff in die Innentasche
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