Die Blutmafia
der Jacke, zog das Kuvert hervor, entnahm ihm die Kassette und steckte sie in den Player des Bordradios. »Jetzt bin ich gespannt.«
Bruno sah ihn schweigend an. Er sagte nichts. Wenn Rio eines an ihm schätzte, dann die Tatsache, daß er im richtigen Moment den Mund halten konnte.
Knacken. Ein Rauschen … Und nun eine Stimme: Die Stimme einer jungen Frau, vielleicht eines Mädchens …
»Guten Tag, Herr Martin. Ich bin Dagmar Reichenbach.«
Rio schloß die Augen und fühlte einen eiskalten Schauer über seinen Rücken rinnen.
»Herr Martin, ich kenne Sie nicht persönlich, ich weiß nur eines von Ihnen: daß Sie Reporter sind und den Artikel über unsere Firma verfaßt haben, der im ›N EWS K URIER ‹ erschienen ist. Woher ich das weiß? Nun, ich habe so meine Beziehungen zum Chefsekretariat …«
Eine kleine Pause entstand. Bruno Arend nutzte sie, um seine Stumpenpackung hervorzuziehen, und er raschelte derart laut damit, daß die nächsten Worte nicht zu verstehen waren.
Rio schaltete ab und fuhr ihn an: »Hör auf damit, verdammt noch mal!« Er suchte die Stelle und fand sie.
»… Beziehungen zum Chef Sekretariat. Anscheinend waren Sie verhindert, mit mir telefonischen Kontakt aufzunehmen. Ich habe mich schon früher beurlauben lassen und bin nach Hause gegangen, weil ich annahm, daß Sie anrufen würden.«
Bruno produzierte eine gewaltige Rauchwolke. Eine weiße, übelriechende Wolke von Mißfallen war es, die zu sagen schien: Verdammter Idiot! Was hast du da gemacht?
»Ich schicke Ihnen dieses Tonband, weil ich hier über keine Schreibmaschine verfüge – und weil ich eine so unmögliche Handschrift besitze, daß sie kaum zu entziffern ist, wenn ich nervös bin. Und …« Ein gepreßtes Lachen. »Ich muß schon sagen, ich bin sehr, sehr nervös heute … Die Gründe kann ich Ihnen nicht alle nennen, Sie würden sie doch nicht verstehen, denn die ganze Geschichte, die ich Ihnen zu erzählen habe, ist reichlich kompliziert.«
Eine kleine Pause entstand, dann fuhr sie fort: »Ich habe für Sie auch einige Dokumente vorbereitet. Es sind Fotokopien … Und nun die Frage, warum ich das alles tue. Es hängt mit dem zusammen, was Sie in Ihrem Artikel ›gewissenlose Geldgier‹ nannten. Ich, in meinem Bereich, Herr Martin, komme mit dieser gewissenlosen Geldgier oft genug zusammen. Ich sollte sie sogar decken. Und dazu fühle ich mich nicht mehr in der Lage, wirklich nicht.«
Wieder entstand ein kurzes Schweigen. Auf der Autobahn rauschten die Autos vorüber. Und da war wieder die Stimme: »Wie Sie wissen, arbeite ich an der Testanlage. Die Tests, die wir hier vornehmen, sind der allerletzte Schrei und daher ziemlich teuer. Doch was heißt teuer? Es handelt sich, wenn man es auf eine Einzelabgabe herunterrechnet, um den lächerlichen Betrag von zehn oder zwölf Mark … Trotzdem wurde von der Geschäftsleitung gesagt: Wir müssen rationalisieren. Nur Stichproben. Und später kam sogar die Anordnung: › Poolen .‹ Der Befehl › Poolen ‹ kam auch letzte Woche wieder. Sie wissen ja, was das ist: Es werden verschiedene Chargen zusammengeschüttet, und dann wird, gewissermaßen aus dem großen Bottich, eine Probe entnommen. Aber das Zeug ist inzwischen so dünn, daß eine genaue Kontrolle unmöglich wird. Doch diese Ware, heißt es dann, geht ja zu Versuchszwecken in die Institute oder in den Export … Ich habe mich dagegen gewehrt – und mußte sofort merkwürdige Erfahrungen machen. Nach außen scheint alles in Ordnung. Aber als ich unseren Hamburger Mitarbeiter Jürgen Cenitza einweihte und Jürgen wohl einige unvorsichtige Bemerkungen machte, bekam auch ich Anrufe mit Drohungen … Und nun der Hamburger Mord …«
Die Stimme brach ab. Nur der Atem war zu hören, gepreßt und leise. Schließlich: »Sie können sich vorstellen, wie mir nach dem Mord an Jürgen zumute ist. Ich habe Angst, Herr Martin, große, große Angst … Schade, daß Sie nicht gekommen sind. Auch schade für Sie, denn ich hätte Ihnen mein Material übergeben können. Sie könnten daraus ersehen, daß in der Firma mit allen Mitteln gearbeitet wird, nicht nur mit Lügen, Verdrehungen und Schlamperei, auch mit Bestechung und Erpressung.«
Dann: »Bitte rufen Sie mich sofort nach Erhalt des Tonbands an …«
Rio beugte sich vor, stellte den Apparat ab, lehnte sich zurück, schloß wieder die Augen und sagte gar nichts.
»Bitte rufen Sie mich sofort nach Erhalt des Tonbands an …«
Er wurde die Worte nicht los. Sie waren wie
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