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Die Blutmafia

Die Blutmafia

Titel: Die Blutmafia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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heran und ließ sich hineinsinken. Der dicke Bauch hob und senkte sich, und er verschränkte nun beide Hände darüber, als müsse er ihn festhalten.
    »Was ist los, Rio?«
    Rio mochte Olsen. Er hatte ihn immer gemocht, von der ersten Sekunde an, als er damals dieses Zimmer betrat. Sie hatten gut zusammengearbeitet, verdammt gut sogar. Aber das war es ja nicht, es war etwas anderes – vielleicht, daß er gerne einen Vater wie Olsen gehabt hätte, einen Mann, den er bewundern konnte. Nicht nur als Journalist, sondern als den Mann, den man alles fragen konnte und der stets aus irgendeiner verborgenen Schublade seines unglaublichen Vorrats an Bildung und Wissen die passende Antwort holte. Es war noch etwas anderes: die Sensibilität, die sich hinter all dem Fett und all dem polternden Zynismus verbarg.
    Jetzt schien sie zu versagen.
    »Nochmals, Rio: Was ist mit dir? So verrückt kannst nicht mal du sein, daß du derartige Erklärungen absonderst.«
    Und Rio sagte, was mit ihm war.
    Olsen lehnte sich weit zurück. Irgendwo an seinem rechten Mundwinkel machte sich ein kleiner Muskel selbständig und veränderte das runde Gesicht zu einer Grimasse von Staunen und Fassungslosigkeit: »Das ist … das ist ungeheuerlich, Rio! Das gibt es doch nicht!«
    »Das hab' ich auch gesagt … Das hab' ich mir die ganze Zeit vorgebetet. Ich bete es immer noch.«
    »Mein Gott, Rio …« Er hob den Arm, als wolle er nach seiner Hand greifen, aber die Entfernung zwischen ihnen war zu groß. »Ja, und jetzt?« Rio hatte Olsens Stimme noch nie so leise gehört: »Was willst du machen?«
    »Das sage ich dir in spätestens acht Tagen, Ewald. Dann, wenn ich das Testergebnis habe.«
    »Oh, Scheiße, Rio!«
    »Ja«, nickte er, »Scheiße …«
    Dann ging er zur Tür und zog sie hinter sich zu, ohne sich noch einmal umzudrehen.
    Es gab Kinder, unendlich viele Kinder, und Rio fragte sich, wo sie alle herkamen. Schließlich war es nicht einmal zwölf Uhr, da sollten sie doch eigentlich noch in der Schule sitzen. Aber sie schrien, rannten oder spielten Fußball und waren schrecklich mit sich selbst beschäftigt. Rentner kamen vorüber. Sie gingen, wie Rentner gehen, die Fußspitzen schienen ständig nach unsichtbaren Steinen und Stöckchen zu suchen. Es gab Hausfrauen, die sich eine Abkürzung durch den Englischen Garten suchten, die Einkaufstasche fest in der Hand und die Blicke auf den heimischen Küchenherd gerichtet. Es gab die Erfolgstypen mit den Aktenköfferchen, die es nie eilig genug haben können, und die anderen, die Arbeitslosen, die über alle Zeit der Welt verfügten und gar nicht wußten, was sie hier unter den Bäumen eigentlich sollten. Studenten gab's. Penner auch. Und ihn.
    Er saß auf einer Bank und ließ sie an sich vorüberziehen. Er hatte seit langem nicht mehr auf einer Bank im Englischen Garten gesessen. Der Himmel war heiter, blau und hoch, und darin segelten weiße, dicke bayrische Wolken.
    Sein Blick suchte Gesichter, taxierte Rücken, krumme, gebeugte und gerade, folgte den Beinen eines Mädchens – und dann hörte er Olsen sagen: »Oh, Scheiße, Rio! Was willst du jetzt machen?«
    Alle, die da vorüberkamen, hatten ihre eigenen Probleme. Doch das war es nicht. Alle hatten das Gefühl, daß es nur die eine einzige Welt gibt: die eigene. Und daß deshalb diese Welt mit ihnen zu leiden, sich mit ihren Problemen zu beschäftigen und am Ende mit ihnen zugrunde zu gehen habe. Was das letztere anging, hatten sie sogar auch noch recht. Mit jedem geht die Welt zu Ende … Subjektiv gesehen.
    »Was meinst du, Dieter?« fragte Rio seinen Schatten.
    »Interessiert mich nicht.«
    »Als Jan Herzog dir sagte: ›positiv, Dieter‹, hast du dich doch auch so hundsgemein, so grauenhaft allein gefühlt, nicht?«
    »Ja. Doch dir hat er es nicht gesagt. Noch nicht.«
    »Aber du hast die anderen angeguckt, all diese anderen, und dich gefragt: Wen kümmert es, wer du bist und was du in deinem Blut mit dir rumschleppst?«
    »Nein. Ich hätte es tun müssen.«
    »Und jetzt? Wie ist es dort, wo du bist?«
    Es kam keine Antwort.
    So ging er weiter. Er war müde. War er nicht schon seit Monaten, seit Ewigkeiten so sonderbar müde? Dann die Hustenanfälle … Nein, laß das. Hör deinen Schritten zu, einem nach dem anderen, und zwischen jedem stirbt ein bißchen Zeit … Drüben rauschte der Bach. Er betrachtete die Fliederbüsche, um sich abzulenken, den Schwung der Brücke und dort, hinter den Birken, die kaisergelb gestrichene Mauer seines

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