Die Blutmafia
keine Antwort! Sag bloß …«
Sie spürte Ärger in sich hochsteigen und dachte: Wenn er dich jetzt wieder im Stich läßt, dann, dann …
»Ich kann nicht.«
»Rio!«
»Wirklich. Glaub mir, Liebling …«
»Was heißt denn, du kannst nicht? … Rio, sag mal, bist du verrückt geworden? Du kannst doch nicht selbst Leute einladen und dann einfach …«
Seine Stimme war weg. Nichts. Nur ein Freizeichen.
Sie legte auf. Sie starrte den Apparat an. Dann setzte sie sich auf einen der Stühle am Tisch, nahm ein Glas in die Hand, drehte es zwischen Daumen und Zeigefinger. Ihr Zorn war verflogen. Lange blieb sie so sitzen, dachte über die letzten Tage nach, über diese verwirrenden, schlimmen Tage.
»Liebling, ich kann nicht …«
Ich auch nicht, dachte sie. Was erwartete er denn? Und überhaupt: ›Liebling‹? Zwei- oder dreimal vielleicht hatte er sie so genannt. ›Vera‹ war sie, aber doch nicht ›Liebling‹ … Was, zum Teufel, war mit ihm los? Und wenn er sich einbildete, daß sie hier mit einem Haufen im Stich gelassener Leute in der Bude herumhockte, schnitt er sich sowieso in die Finger.
Der Zorn brachte sie wieder in Fahrt. Und so erlebten Cleo und die anderen, als sie zehn Minuten später an der Tür des kleinen Hauses am Englischen Garten läuteten, eine zwar aufgekratzte, wenn auch etwas verbissen lächelnde Vera, die ihnen schon beim Türöffnen verkündete: »Freunde, ich hab' eine prima Wurstplatte. Ich habe Käse. Ich habe Wein. Das alles rühren wir nicht an. Wir werden uns woanders amüsieren. Und dort erzähle ich euch, warum …«
Schon auf der langen Geraden am Olympiagelände vorbei ließ Rio den Porsche laufen, überholte, wann immer er eine Lücke erspähte, zwängte sich rücksichtslos bei Gelb über die Kreuzungen, mißachtete empörte Lichtsignale, steigerte noch immer die Geschwindigkeit.
Nymphenburg. Die Autobahn – und Vollgas! Der Motor heulte auf, Rio spürte den Andruck der Geschwindigkeit wie ein Gewicht, das ihn in den Sitz preßte. Er nahm das Vibrieren des Motors in sich auf, das sich steigernde, wilde, aggressive, fast haßerfüllte Geheul, als der Motor das Letzte hergab und der Zeiger des Drehzahlmessers sich nun tief in die rote Warnzone hineinschob. Laß ihn! Laß ihn dir doch um die Ohren fliegen. Wenn schon …
Die Fahrzeuge vor ihm drückten sich vor dem heranschießenden, geduckten schwarzen Monster zur Seite, funkelten hinter ihm her in ohnmächtigem Protest.
Rio nahm es nicht einmal wahr. Trotz des Heulens des Motors, trotz des Heulens des Windes – in ihm war nichts als Stille, eine nicht auslotbare, dunkle Stille, in deren Tiefen Stimmen laut wurden: »… Rio … Ich darf Sie doch Rio nennen? … Es gibt keinen Grund, den Kopf hängenzulassen, bloß weil wir nicht wissen, was der Test bringt. Für mich ist absolut wahrscheinlich, daß er negativ ausfallen wird. Warten wir doch ab, Rio … Bitte …«
Jan Herzog. Dr. Jan Herzog, der Freund eines Mannes, der Dieter Reissner hieß – und der es auch für absolut unwahrscheinlich gehalten hatte, daß ihm ›so etwas‹ zustoßen könnte.
U ND SELBST WENN , R IO , ES GIBT SO VIELE F ÄLLE , DIE BEWEISEN , DASS SICH DAS V IRUS NICHT BEI ALIEN I NFIZIERTEN DURCHSETZEN KANN . I CH HABE A RTIKEL GESAMMELT . E S STEHT IN DER L ITERATUR . A UCH BEI DER A BWEHR EINER SOLCHEN K RANKHEIT KOMMT ES FÜR MICH ENTSCHEIDEND AUF DIE INNERE E INSTELLUNG AN . D IE K RANKHEIT BRAUCHT NICHT TÖDLICH ZU VERLAUFEN …
»Selbst wenn …«
»Es kommt auf die innere Einstellung an …«
Ja, Stille war um Rio Martin, Stille und ferne Stimmen.
Vor ihm leuchtete ein Bremslicht auf. Ein Lkw, der nach links wollte, nein, der tatsächlich ausscherte … Er rammte die Sohle auf die Bremse. Drücken. Drück doch! Wieso eigentlich?
Er fühlte, wie das Heck ausbrach, balancierte den schlingernden Wagen aus, schaffte es. Es wäre auch zu früh gewesen. Die riesige Wand, die gerade noch die Straße gesperrt hatte, rückte zur Seite.
Und wieder gab Rio Gas.
Draußen flog Burgau vorbei. Wann nur war er dort gewesen? Vor einem Jahr … Sie hatten in einem Biergarten gesessen, die Blütenkerzen der Kastanien leuchteten, und Veras grüne Augen lachten in der Sonne.
»Es gibt da Fälle aus der Literatur …« Und Dr. Jan Herzog hatte sie gesammelt, um seinem Freund Dieter zu beweisen, daß auch Aids-Infizierte eine Chance haben. Nur: Er hatte seinen Freund Dieter nicht mehr erreichen können. Der hatte sich bei Herzog abgemeldet, war zu
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