Die Blutnacht: Roman (German Edition)
ins Herz.
Er holte sich die Börse mit der Prämie. Er nahm die Armbrust. Er wandte sich um.
Der Weg zur Tür war mit dem Blut der Toten besudelt. Die wenigen sauberen Steinplatten waren mit Blut verfugt. Die Toten in ihrer Reglosigkeit umgab eine Stille, die nichts mit Geräuschen zu tun hatte. Der kopflose Harfenspieler saß noch immer auf seinem Stuhl.
Tannhäuser verspürte keine Reue und wunderte sich über sich selbst.
Das war auch gut so.
Denn er hatte noch lange keinen reinen Tisch gemacht.
Carla brauchte ihn.
Er brauchte sie.
Er ging am Tresen entlang und zog den Riegel zurück.
Er schob die Tür mit der Schulter auf und trat auf die Straße.
Er ließ den Blinden Pfeifer hinter sich.
Er versuchte es zumindest.
Es war beinahe völlig dunkel. Er konnte Grégoire nicht sehen. Vom Dach lief Regenwasser in eine Wassertonne. Er legte die Waffen ab und zerrte sich das Hemd vom Leib, das Blut und Schweiß an seine Haut geklebt hatten. Er steckte den Kopf bis zu den Schultern in das Fass. Es war kühler als erwartet und höchst willkommen. Er trank davon. Er spülte das Hemd aus und wischte sich sauber. Das fühlte sich gut an. Der Junge kam mit dem Hund über die Straße gelaufen.
»Ihr wart lange fort.«
Grégoire starrte auf die Janitscharen-Symbole, die auf Tannhäusers Arme tätowiert waren.
»Ich habe dir doch gesagt, dass ich nicht in Paris sterben will.«
»Was ist mit dem Barden passiert?«
Tannhäuser wrang das Hemd aus. Er antwortete nicht.
»Die Musik hat aufgehört. Ich habe Geräusche gehört. Und dann habe ich das da gesehen.«
Grégoire deutete auf den Eingang. Blut floss unter der Tür heraus und die Stufen hinunter.
»Dann hörten alle Geräusche auf.«
»Ich konnte mich nicht mit Paul unterhalten, solange ich ein Dutzend Männer mit Messern hinter mir hatte.«
»Hatte der Barde auch ein Messer?«
»Der Barde hat nicht gelitten. Er ist singend gestorben.«
Grégoire warf seine Arme um Tannhäusers Taille und schluchzte. Er war noch ein Kind. Erschöpft vor Angst. Der einzige Mann, zu dem er aufschaute, hatte einen Barden ermordet.
Tannhäuser legte sich das Hemd um die Schultern und legte Grégoire die Hände auf den Rücken. Er spürte, wie der entstellte Körper des Jungen in seinen Armen bebte. Wenn Gott bei der Schöpfung das Wesen des Guten in den Händen gehalten und den Schmerz der Verwirrung dazu gegeben hätte, dann hätte Er Grégoire erschaffen.
Gefühle, die Tannhäuser nicht brauchen konnte, wallten mächtig in ihm auf. Er war einer der Männer, der diese Welt zu dem gemacht hatte, was sie war. Er suchte in seiner Beschämung nach etwas, das sich zu sagen lohnte. Etwas, das er sagen durfte, das die Wahrheit und keine Ausrede war. Er konnte Grégoire sagen, dass er kein guter Mensch war; dass er kein weiser Mann war; dass er, um seine Frau in Sicherheit zu bringen, jede böse Tat begehen würde, ganz gleich, was es mit seiner Seele anrichtete. Er konnte ihm viele solcher Dinge sagen. Aber der Junge würde es nicht verstehen. Er würde darin keinen Funken Trost finden, den er brauchte und verdiente. Er hätte den Jungen nie aus dem Stall mitnehmen dürfen. Er erinnerte sich daran, wie er mit den Töchtern des Druckers in genau diesem Stall gesessen hatte. Es war einen Versuch wert.
»Grégoire, ich habe dich lieb.«
Der Junge schaute zu ihm auf, als hätte er diese Worte noch nie gehört. Und wenn er es recht überlegte, meinte Tannhäuser, dass das vielleicht auch so war.
»Du hast mir das Leben gerettet, und vielleicht rettest du noch meine Seele. Sollte ich beide verlieren, dann liebe ich dich aus den Feuern der Hölle. Und jetzt wasch dir das Gesicht.«
Grégoire schrubbte sich das Gesicht mit Wasser.
Tannhäuser pinkelte an die Mauer. Er band sich das Hemd mit den Ärmeln um die Taille. Es hatte ihm gute Dienst geleistet, aber es wies ihn nun als einen Mann aus, auf dessen Kopf ein Preis stand.
Grégoire erleichterte sich auch. Tannhäuser lachte.
»Gewaschen und gepisst, da ist man doch zu allem bereit, was?«
Grégoire grinste und nickte.
Tannhäuser musste sich von Grégoire zu dem Haus in der Truanderie führen lassen. Zu Joco. Zur rothaarigen Typhaine. Danach konnte er ihn in irgendein Gasthaus schicken. Auch wenn der Junge dagegen protestierte, würde er ihn durch Drohungen zum Gehorsam zwingen. So war es richtig. Und doch konnte Tannhäuser es nicht über sich bringen, den Jungen aus diesem finsteren Abenteuer auszuschließen, zu dem sie
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