Die Blutnacht: Roman (German Edition)
Pilger die Fackel aus der Hand und hieb ihm die Klinge in den Nacken. Er nahm das Schwert auf. Es war von gewöhnlicher Qualität und mit Blut verkrustet. Er ging zu dem ersten Lahmen herüber und hackte ihm den Kopf ab. Es konnte nützlich sein, eine solche Siegestrophäe zu haben, die man im richtigen Augenblick auf die Straße werfen konnte. Der zweite Lahme lag zusammengekrümmt im Dreck und warf schützend die Arme über den Kopf. Tannhäuser stieß ihm das Schwert in die Achselhöhle und ließ es da stecken.
Die beiden gefallenen Fackeln waren frischer als die am Wagen. Tannhäuser hob eine auf. Er überließ den keuchenden Mann an der Wand seinem Schicksal und seinen letzten Gebeten.
Er holte sein eigenes Schwert vom Wagen und steckte es in die Scheide. Er tauschte die Fackel am Wagen aus und steckte die weniger helle zwischen die Radspeichen. Er kniete sich über Grégoire, hob den Dolch auf, den Juste benutzt hatte, und steckte ihn ins Futteral. Juste hatte den Lederriemen um Grégoires Oberschenkel geschlungen und versuchte, den Knoten mit einer Hand und den Zähnen zuzuziehen. Tannhäuser übernahm diese Aufgabe. Das Blut pulste aus der Wunde. Die Arterie. Er stillte den Blutfluss.
»Gute Arbeit, Juste. Versorge deine eigenen Wunden mit der Achsschmiere.«
Tannhäuser untersuchte Grégoires Bein. Die Kugel war unter dem rechten Knie von der Seite eingedrungen und hatte den größeren Knochen zersplittert wie ein Stück Kreide. Hinten im Knie war eine Austrittswunde, aus der die Blutung am stärksten war.
Tannhäuser unterdrückte einen Anflug von Übelkeit, als wüsste sein Magen schon im Voraus, was gleich von ihm verlangt würde. Er konnte es schaffen. Schau ihm nicht ins Gesicht. Er stand auf.
Er packte den Schaft der Partisane, der noch in einem Gegner steckte, und zog daran. Er bewegte sich nicht. Tannhäuser schleifte den Toten damit fort, schob dann die Leiche von der Klinge, indem er den Fuß zu Hilfe nahm. Er lehnte die Partisane an den Wagen, zerrte die Matratze heraus und schleuderte sie fort. Er hob den bewusstlosen Jungen auf die Arme und legte ihn auf das Wagenbett, das zerschmetterte Bein am nächsten an die Kante. Er schaute ihm ins Gesicht.
Grégoire schnaufte laut. Tannhäuser legte ihm prüfend die Hand an die Stirn.
Feucht, kühl. Er strich dem Jungen das Haar aus den Augen. Er sah den hässlichen, klaffenden Mund.
Er würgte an einem Kloß im Hals. Die Nerven versagten ihm den Dienst.
Einfach den Riemen lockern. Den Jungen in Frieden hinübergleiten lassen.
»Juste, hilf mir, Bruder. Sollten wir ihn sterben lassen?«
»Was? Grégoire? Wie können wir ihn sterben lassen?«
»Gut gesprochen. Komm her. Halte das Bein hoch und ganz ruhig. Wende mir den Rücken zu.«
Er hob Grégoires linkes, unversehrtes Bein, dass es senkrecht in die Höhe stand, und bat Juste, es so zu halten. Eine Musketenkugel krachte in den Kutschbock. Tannhäuser beugte sich zu den Hellebarden herunter, prüfte mit dem Daumen die Klinge jeder einzelnen und wählte die schärfste aus. Als er den Schaft in die Hand nahm, kehrte seine Übelkeit zurück. Er ließ sie kommen und übergab sich in die Blutlache. Er spuckte aus und wischte sich die Lippen am Unterarm ab.
Er richtete sich auf, trat einen Schritt zurück, packte die Hellebarde und schätzte den Winkel ab.
Er nahm all seine Kräfte zusammen.
Tannhäuser hackte Grégoire das Bein ab.
Grégoire fuhr auf und schrie über Justes Schulter hinweg.
Tannhäuser schaute dem Jungen in die Augen. Den Schmerz, den er da sah, hatte er erwartet. Die unendliche Verwunderung – das unausgesprochene »du?« – zerriss ihm das Herz.
Er schaute weg.
Er hatte so fest zugeschlagen, dass er auch die Bretter unter dem Bein zersplitterte. Er hebelte die Klinge heraus und lehnte sie auf den Schaft. Grégoire klammerte sich an Juste, war sich der schrecklichen Verletzungen seines Freundes nicht bewusst. Juste ließ das gesunde Bein fallen, drückte den anderen Jungen mit seiner einen unverletzten Hand an sich und weinte mit ihm. Wieder sauste eine Musketenkugel vorüber. Tannhäuser fischte die halbe Kugel Opium aus der Tasche. Er beugte sich zu dem Weinschlauch hinunter und zog den Korken mit den Zähnen heraus. Er stopfte das Opium zwischen Grégoires missgestaltete Lippen, hielt ihm die Nase zu und schüttete ihm Wein in die Kehle. Er verschloss ihm den Mund mit der Hand.
»Schlucken, Junge, schlucken. Wir sind bei dir. Wir brauchen dich.«
Grégoire
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