Die Börse (German Edition)
hier seit vier Jahren wohnen. Wir wissen immer noch nicht, was diese Damen eigentlich machen; nur von früh bis um zwölf Uhr kommt eine alte halbtaube Aufwartefrau, die so stumm ist, wie eine Mauer, zum Aufräumen; abends erscheinen zwei oder drei alte Herren, die einen Orden haben, wie Sie, Herr, und von denen einer eine Equipage und Dienerschaft hat und sechzigtausend Franken Rente haben soll, bei ihnen und bleiben häufig sehr lange. Übrigens sind es sehr ruhige Mieter, so wie Sie, Herr; und dann sparsam, sie leben rein von nichts; sobald ein Brief kommt, bezahlen sie ihn. Es ist merkwürdig, die Mutter heißt anders als die Tochter. Und wenn sie in die Tuilerien gehen, dann sieht die Tochter sehr elegant aus, und wenn sie zurückkommt, dann folgen ihr gewöhnlich junge Leute; sie schließt ihnen aber die Tür vor der Nase zu, und daran tut sie recht. Der Hauseigentümer würde nicht erlauben ...«
Da der Wagen ankam, hörte Hippolyte nichts weiter und kehrte nach Hause zurück. Die Mutter, der er sein Abenteuer erzählte, legte ihm einen frischen Verband auf die Wunde und erlaubte ihm nicht, am nächsten Tage ins Atelier zu gehen. Ein Arzt wurde geholt, der verschiedenes verordnete, und Hippolyte blieb drei Tage zu Hause. Während dieser Abgeschlossenheit vergegenwärtigte ihm seine anderweit unbeschäftigte Einbildungskraft lebhaft und stückweise die Einzelheiten der Szene, die auf seine Ohnmacht gefolgt war. Das Profil des jungen Mädchens zeichnete sich scharf auf dem dunklen Grunde seines inneren Schauens ab: er sah wieder das welke Gesicht der Mutter vor sich und fühlte noch die Hände Adelaides, er besann sich wieder auf eine Bewegung, die ihm zuerst kaum aufgefallen war, deren wunderbarer Reiz aber in der Erinnerung hervortrat; eine Stellung oder der Klang einer wohllautenden Stimme tauchten entfernt im Gedächtnis plötzlich verschönert wieder auf, wie ins Wasser gefallene Gegenstände, wenn sie wieder an die Oberfläche kommen. An dem Tage, an dem er seine Arbeit wieder aufnehmen durfte, ging er zeitig ins Atelier; aber der wahre Grund für seine Eile war der Besuch, den er mit unzweifelhaftem Recht seinen Nachbarn machen durfte, und über dem er bereits seine Bilder vergaß. In dem Moment, da eine Leidenschaft ihre Hülle durchbricht, empfindet man ein unerklärliches Glücksgefühl, das alle die kennen, die geliebt haben. Deshalb wird mancher verstehen, weshalb der Maler die Stufen zum vierten Stock so langsam hinaufstieg, und sie werden das beschleunigte Schlagen seines Herzens mitempfinden, als er die braune Tür erblickte, die zu der bescheidenen Wohnung des Fräuleins Leseigneur führte. Dieses Mädchen, das nicht den Namen seiner Mutter trug, hatte tausend sympathische Gefühle bei dem jungen Maler wachgerufen; er glaubte zwischen ihr und sich eine gewisse Ähnlichkeit ihrer Lage zu erkennen und dachte, daß über ihrer Geburt derselbe Unglücksstern geleuchtet hätte, wie über der seinigen. Mitten bei seiner Arbeit überließ er sich gern seinen Liebesgedanken und benahm sich sehr laut, um den beiden Damen Anlaß zu geben, sich mit ihm ebenso zu beschäftigen, wie er mit ihnen. Er blieb sehr lange im Atelier und speiste dort; dann, gegen sieben Uhr, ging er zu seinen Nachbarinnen hinunter.
Kein Sittenschilderer hat es bisher, wahrscheinlich, weil er sich davor scheute, unternommen, uns das wahrhaft interessante Interieur gewisser Pariser Existenzen zu schildern und uns in das Geheimnis solcher Behausungen einzuweihen, aus denen so frische, elegante Toiletten und so glänzende Damen heraustreten, die draußen anscheinend reich, zu Hause alle Anzeichen zweifelhafter Vermögensumstände erkennen lassen. Wenn die Schilderung hier zu unverhüllt gemalt und zu lang ausgedehnt erscheint, so möge man der Darstellung keine Schuld beimessen, die sozusagen mit dieser Geschichte unlösbar verknüpft ist; denn der Anblick der von seinen beiden Nachbarinnen bewohnten Räume war von großem Einfluß auf die Gefühle und Hoffnungen Hippolyte Schinners.
Das Haus gehörte einem jener Hausbesitzer, denen ein tiefer Abscheu vor Reparaturen und Verbesserungen angeboren ist, und die den Zustand des Hausbesitzens als einen Beruf betrachten. In der langen Kette der verschiedenen Charaktere bilden sie das Mittelglied zwischen dem Geizhals und dem Wucherer. Optimisten aus Berechnung, halten sie getreu an dem Status quo Österreichs fest. Spricht man mit ihnen davon, daß ein Aufsatz oder eine Tür geändert,
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