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Die Börse (German Edition)

Die Börse (German Edition)

Titel: Die Börse (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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Privatleben. Er war das Idol einer armen Mutter, die sich für seine Erziehung die äußersten Entbehrungen auferlegt hatte. Fräulein Schinner, die Tochter eines elsässischen Pächters, war nie verheiratet gewesen. Ihr zärtliches Empfinden wurde von einem reichen Manne, der gerade kein großes Zartgefühl in Liebesangelegenheiten besaß, grausam getäuscht. Der Tag, an dem das junge Mädchen, in der Blüte seiner Schönheit und im vollen Glanze seiner Jugend, diese Enttäuschung erfuhr – die wir alle so langsam und schnell zugleich erleben, denn wir möchten so spät als möglich an das Unglück glauben, und doch scheint es uns immer zu schnell über uns hereingebrochen zu sein – dieser Tag war mit Nachdenken ausgefüllt, das für ein Jahrhundert ausgereicht hätte, und es war auch der Tag frommer Gedanken und der Tag der Ergebung. Sie lehnte ein Almosen des Mannes, der sie betrogen hatte, ab, zog sich von der Welt zurück und machte ihren Fehltritt zu ihrem Stolz. Sie kannte nichts anderes mehr als die Mutterliebe, und suchte in ihr den Ersatz für die gesellschaftlichen Freuden, auf die sie verzichtet hatte. Sie lebte von ihrer Arbeit und zog sich in ihrem Sohn einen Schatz auf. Und eines Tages erschien die Stunde, da sie für ihre so lange andauernden Opfer und Entbehrungen entschädigt wurde. Bei der letzten Ausstellung hatte ihr Sohn das Kreuz der Ehrenlegion erhalten. Die Zeitungen, einstimmig in ihrer Anerkennung des bis dahin unbekannten Talentes, waren noch voll des ernstgemeinten Lobes. Selbst die Künstler erkannten Schinner als einen Meister an, und die Händler bezahlten seine Bilder nach ihrem Gewichte in Gold. Mit fünfundzwanzig Jahren war sich Hippolyte Schinner, der das weibliche Empfinden von seiner Mutter geerbt hatte, klar über seine Stellung in der Gesellschaft. Da er seiner Mutter die gesellschaftlichen Annehmlichkeiten, deren sie so lange Zeit beraubt gewesen war, wieder verschaffen wollte, so lebte er nur für sie und hoffte, sie vermöge seines Ruhmes und Reichtums dereinst glücklich, reich, geachtet und von berühmten Leuten umgeben zu sehen. Schinner hatte sich deshalb einen Freundeskreis von durchaus ehrenhaften und ausgezeichneten Männern gebildet. Schwer zu befriedigen bei der Auswahl seiner Beziehungen, wollte er eine noch höhere Stellung einnehmen als die, zu der ihn seine Begabung schon erhoben hatte. Die groß denkende Mutter hatte ihn genötigt, einsam zu leben, und die Arbeit, der er sich von Jugend auf gewidmet hatte, hatte ihm den schönen Glauben bewahrt, der die ersten jungen Jahre auszeichnet. Seiner Jünglingsseele war keine der tausend schamhaften Empfindungen fremd, die den jungen Mann zu einem besonderen Wesen machen, dessen Herz von Glück, von poetischen Gefühlen und von jugendfrohen Hoffnungen überfließt, die in den Augen blasierter Leute kaum etwas bedeuten, die aber in ihrer Schlichtheit tief sind. Er besaß die Liebenswürdigkeit und Höflichkeit, die das Wesen so erfreulich machen, und die selbst diejenigen verführen, die sie nicht begreifen. Er hatte ein schönes Äußere. Seine Stimme, die von Herzen kam, erweckte bei den andern edle Empfindungen, und verriet durch eine gewisse Reinheit des Ausdrucks ehrliche Bescheidenheit. Bei seinem Anblick fühlte man sich zu ihm durch eine innere Anziehungskraft hingezogen, die die Gelehrten glücklicherweise noch nicht zu analysieren verstehen, denn sonst würden sie darin ein galvanisches Phänomen oder die Wirkung irgendeines Fluidums sehen und unsere Gefühle in die Formel eines Verhältnisses von Sauerstoff und Elektrizität bringen. Diese Einzelheiten werden vielleicht auch dreiste und elegante Leute begreifen lassen, weshalb Hippolyte Schinner während der Abwesenheit des Portiers, den er an das Ende der Rue de la Madeleine nach einem Wagen geschickt hatte, an die Portierfrau keine Frage über die beiden Personen stellte, deren Gutherzigkeit sich ihm offenbart hatte. Aber obgleich er auf die bei dieser Gelegenheit natürlichen Fragen, die die Frau in bezug auf seinen Unfall und das dienstbereite Eintreten der Mieter der vierten Etage an ihn richtete, nur mit Ja oder Nein antwortete, so konnte er sie doch nicht hindern, nach der Art der Portiers zu schwatzen; und so redete sie über die beiden Unbekannten vom Standpunkte ihrer persönlichen Interessen und mit der Beurteilung, wie sie der Sphäre einer Kellerwohnung entsprach.
    »Ach,« sagte sie, »das war gewiß Fräulein Leseigneur und ihre Mutter, die

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