Die böse Brut
finden ist. Ich gebe dir mein Handy mit. Du kannst mich anrufen, wenn du es für richtig hältst.«
Carlotta dachte nicht mehr lange nach. »Wenn du meinst, dann...«
Genau in diesem Augenblick drehte sich Damiano um. »Seine dunklen Augen schienen noch dunkler geworden zu sein, und die Lippen in seinem Gesicht sahen aus wie gespannt.
»Was ist?«, fragte Maxine.
»Sie... sie... sind da!«
»Hier?«
»Fast!«
Es gab keinen Grund, ihm nicht zu glauben. Es brauchten auch keine großen Vorbereitungen getroffen zu werden. Lange Erklärungen waren ebenfalls überflüssig.
Maxine drückte Carlotta ihre Hand in den Rücken. Das Vogelmädchen wusste Bescheid.
Mit wenigen Schritten hatte sie den Jungen am offenen Fenster erreicht. »Komm, es wird Zeit!«
Damiano schaute sie an, als hätte er nichts begriffen. »Los, wir müssen weg!«
»Wie...?«
»Fliegen!«
Carlotta handelte. Diesmal war sie die Stärkere. Sie hob ihn an und kletterte mit ihm zusammen auf die Fensterbank. Beide sprangen nach draußen auf den weichen Boden. Dort presste Carlotta ihren Schützling an sich, lief diesmal nicht erst einige Meter vor, sondern startete aus dem Stand heraus...
***
Zurück blieb Maxine Wells!
Sie konnte es alles noch nicht fassen und wusste trotzdem, dass es den Tatsachen entsprach, auch wenn diese mehr als ungewöhnlich waren.
Wie eine Schlafwandlerin ging sie vor und trat ebenfalls an das Fenster heran. Von dort aus schaute sie in die Höhe und suchte den noch dunklen Himmel ab. In kurzer Zeit würde es vorbei sein. Dann würde die Dämmerung den neuen Tag ankündigen, und sie fragte sich, was er noch bringen würde.
Carlotta war schnell geflogen, denn es war von ihr nichts mehr zu sehen. Der dunkle Himmel hatte sie verschluckt. Trotz der Spannung fühlte sich die Frau erleichtert. Damiano jedenfalls war aus der Gefahrenzone geschafft worden.
Aber was war mit den vier Jägern?
Sie waren und blieben das große Problem. Wobei sie hoffte, dass sich der Junge geirrt hatte. Aber daran glaubte sie einfach nicht.
Aus irgendeinem Grund ließ sie das Fenster offen. Wie jemand, der einen Notausstieg behalten wollte.
Der Junge hatte davon gesprochen, dass die Verfolger unterwegs waren. Möglicherweise hatten sie ihr Ziel schon erreicht. Und deshalb ging sie zur Eingangstür, um nachzuschauen.
Maxine war vorsichtig. Ihr Herz schlug jetzt wieder schneller. Nichts in ihren Augen bewegte sich, als sie durch den Vorgarten zur Straße hinspähte.
Sie sah, wie ein sehr dunkler Schatten fast lautlos über die Straße glitt und vor ihrem Haus stoppte.
Carlotta hatte von einem dunklen Wagen gesprochen. Und genau der hatte vor ihrem Haus gehalten.
»Ich glaube, ich muss jetzt verdammt stark sein«, flüsterte sie vor sich hin und spürte die Angst trotzdem wie eine mächtige Klammer, die ihren Körper umschlossen hielt...
***
Suko hätte mich wahrscheinlich geteert und anschließend gefedert, wenn ich ihn nicht informiert hätte. Da ich diese Folter nicht riskieren wollte, hatte ich ihn eingeweiht, und so waren wir zu zweit in die Maschine gestiegen, die uns nach Dundee brachte.
Den Leihwagen hatten wir bestellt. Er würde bereitstehen, und dann ging es dorthin, wo Maxine Wells lebte. Ich mochte sie. Ebenso wie ihre Ziehtochter Carlotta, dieses Mädchen, auf dessen Rücken Flügel wuchsen. Es hatte bei der Tierärztin eine Heimat gefunden, und da hatte sich das Schicksal wirklich großzügig gezeigt. Allein wäre sie mit ihrem Aussehen nicht durch’s Leben gekommen. Sie wäre so etwas wie ein Jagdobjekt gewesen, und es wäre ihr kaum besser gegangen als in dem verdammten Labor, aus dem sie entwichen war.
Aber auch das Leben der Maxine Wells hatte sich verändert. Sie ging ihrem Beruf natürlich nach, aber sie musste Carlotta vor den Augen der Menschen verborgen halten oder sie nur so zeigen, dass die Flügel nicht zu sehen waren. Glücklicherweise war Carlotta ziemlich groß für ihr Alter, auch sehr intelligent, zudem mit einem überdurchschnittlichen Wissen bestückt, so dass sie nicht mehr zur Schule zu gehen brauchte. Da hatte Maxine wirklich eine gute Regelung gefunden.
Allerdings hatte Maxine Wells auch lernen müssen, dass das Leben ganz andere Seiten und Facetten für einen Menschen bereithalten konnte. Sie wusste nun, wie es war, wenn jemand mit Dingen konfrontiert wurde, die man nicht lernte, die es normalerweise nicht gab, die den allermeisten verborgen blieben.
Da hatten sie und ich schon einiges
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