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Die Bogenschützin: Roman (German Edition)

Die Bogenschützin: Roman (German Edition)

Titel: Die Bogenschützin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Sophie Marcus
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Immerhin war er ausgezeichnet geübt darin zu stürzen, und er verletzte sich kaum einmal dabei. Als er nun hörte, wie ein gewaltiges Raunen unter den Zuschauern ausbrach, während sie nach und nach erkannten, wer die Ritter waren, die sich zu Pferd gegenüberstanden, packte ihn jedoch kalter Zorn. Ums Verrecken wollte er seinem Vater nicht die Genugtuung gönnen, ihn in den Staub zu stoßen. Es gab eine Grenze für die Erniedrigung, die er von ihm erdulden konnte, und die würde er ihm an diesem Tag aufzeigen.
    Er ließ seinen Fuchs, dessen geschmückte Decke so wie sein Waffenrock das kurfürstliche Schwarz-Silber in Kombinationmit den blau-weißen Farben derer von Torgau zeigte, steigen und zeigte seinem Vater die Faust. Dessen Hass strahlte von ihm aus wie die Hitze von der Hölle. Sie ergriffen beide die ihnen gereichten Lanzen, ohne den Helfern einen Blick zu gönnen.
    Mit ungewöhnlich geschärften Sinnen roch Wilkin den feuchten Sand der Bahn, hörte das Klacken seiner Lanze auf den Rüsthaken an seinem Harnisch und sah die leuchtend farbigen Gewänder der Zuschauer auf den Tribünen, bevor er sein Visier herunterklappte.
    Der erste Zusammenprall warf keinen von ihnen aus dem Sattel, die beiden hohlen hölzernen Lanzen brachen krachend. Sein Vater war einst ein guter Turnierkämpfer gewesen, er hatte einen festen Sitz und konnte den Stößen das nötige Körpergewicht entgegensetzen. Dieses Gewicht fehlte Wilkin, dafür bewegte er sich geschmeidiger. Kühle Berechnung ersetzte seinen Zorn.
    Beim zweiten Anlauf traf und brach Wilkins Lanze abermals, doch dem Stoß seines Vaters entging er durch eine flinke Drehung seines Oberkörpers. Beide überstanden sie die Runde beritten. Wilkin hatte den Alten keuchen hören, als er ihn traf, und seine Entschlossenheit zu siegen wurde noch gnadenloser.
    Bei der dritten Runde schwankte sein Vater, weil er damit gerechnet hatte, dass Wilkin wieder ausweichen würde, was er dieses Mal nicht tat. Er setzte seine ganze Kraft ein, um den Stoß aufzufangen und gegen seinen Vater wirken zu lassen und gleichzeitig seine eigene Lanze genau auf die Stelle der Schulter zu platzieren, auf die sie gehörte. Das Erste gelang ihm bestens, das Zweite nicht ganz, doch sein Vater musste um sein Gleichgewicht kämpfen.
    Jede Unbeherrschtheit hatte Wilkin verlassen, er plante die nächste Runde bereits mit klarem Kopf, während er noch zurückritt. Im Gegensatz zu ihm warf sein Vater den Rest seiner Lanze nach den beistehenden Helfern, als wären sie verantwortlich für seinen Misserfolg.
    Neben der Wut sah Wilkin Verunsicherung in den Bewegungen des Alten, was ihn zufrieden machte. Er wusste, dass es reichte, noch einen guten Treffer zu landen, ohne selbst getroffen zu werden, um nach Punkten zu siegen, doch das war ihm nicht genug. Dieses eine Mal wollte er sich für all die Feindseligkeiten der Vergangenheit rächen. Und dafür, dass sein Vater seine Brüder zum Verrat am Kurfürsten ermutigt und ihn damit in die verfluchte gegenwärtige Lage gebracht hatte. Und zuletzt wollte er den Alten dafür bestrafen, dass er die Bosheit besaß, ihn hier vor allen demütigen zu wollen. Viele der Zuschauer, die über die Hintergründe von Reinhardts Verrat nichts Genaues wussten, würden mit seinem Vater fühlen. Der arme Mann hatte auf grauenhafte Weise einen Sohn verloren und brachte offenbar seinen Ältesten damit in Verbindung. Wer konnte ihm verdenken, wenn er aus Kummer und Verbitterung ein ungewöhnliches Mittel wählte, um diesen zurechtzuweisen?
    Nein, Wilkin wollte keinen Sieg nach Punkten. Er wollte seinen Vater aus dem Sattel werfen.
    Der Helfer reichte ihm seine vierte Lanze, er legte sie in den Haken ein und sprach stumm eine kurze Bitte zum Himmel. Lass ihn stürzen, wenn ich im Recht bin.
    Er wich nicht aus, drehte sich nicht, empfing den machtvollen Stoß seines Vaters, sodass der Schmerz ihm durch und durch ging, und platzierte seine Lanze, wie es nicht besser möglich gewesen wäre. Splitterndes, fliegendes Holz nahm ihm die Sicht auf das Ergebnis seines Treffers. Erst beinahe am Ende der Bahn sah er sich um und triumphierte beim Anblick seines am Boden liegenden Erzeugers.
    Eilig stieg er ab und ging zu Fuß zurück zu ihm. Sein Vater war schon dabei, sich aufzurappeln, stöhnend und so stockend kurzatmig, dass Wilkin daraus schloss, wie eng das eiserne Stechzeug dem Alten doch sitzen musste.
    Wilkin war sich nicht sicher, warum er zurückgegangen war. Seine Wut verflog und

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