Die Bogenschützin: Roman (German Edition)
hatte sie ihm getan? War er nur verletzt, weil sie nicht zu ihm gekommen war, um seinen neuen Stand mit ihm zu feiern? Oder war es, was sie dumpf ahnte, aber weder glauben konnte noch wollte? Sie erinnerte sich an die Warnung ihres Onkels. Er kommt nach seinem Vater. Und Kaspar hatte eine Art, mit den Weibern… Betrachtete Cord sie tatsächlich auf diese Art? Ihr wurde noch heißer, sie spürte ein Ziehen in sich, das auf beschämende Weise aus Lust und Sehnsucht bestand.
Eilig floh sie ins Zelt und in ihr Bett, um den sündigen, unrechten Gedanken zu entgehen. Sie würde Wilkin heiraten. So war es beschlossen und richtig. Alle Zeichen besagten, dass der Allmächtige ihr Schicksal so gefügt hatte, dass sie zusammenkamen. Er hatte sie zu Richard geführt, Richard hatte sie zu Wilkin geschickt und ihm damit das Leben gerettet, der Kurfürst hielt ihre Verbindung für vorteilhaft, und Wilkin hatte sich in sie verliebt. Deutlicher hätte das Schicksal nicht sprechen können. Die Lust eines Kusses war dagegen eine flüchtige Verirrung, nicht mehr.
Dennoch war es diese Lust, die sie spürte, als sie in den Schlaf glitt, und nicht das leise Glück, das sie fühlte, wenn sie Wilkins Hand hielt.
Im Wirbel der nächsten Tage hatte Hedwig keine Zeit mehr zu zweifeln. Gräfin Elisabeth nahm die Vorbereitung der Hochzeit in die Hand, und sie war darin sehr bewandert. Es fehlte an nichts, als Hedwig mit Wilkin vor den Altar trat– nicht am aufwendig bestickten Kleid, am seidenen Hemd, an Schmuck, Bischof, Festmahl und schon gar nicht an verliebten Blicken ihres zukünftigen Gemahls.
Sogar ein Gast hatte den Weg zu ihnen gefunden, mit dem sie nicht gerechnet hatten. Wilkins Mutter war auf seine Nachricht hin rechtzeitig zur Trauung aus Steglitz angereist.
So gespannt, wie Hedwig darauf war, sie kennenzulernen, bekam sie dazu dennoch keine Gelegenheit, bis sie sich beim Mittagsmahl gegenübersaßen. Der Platz neben Margot von Torgau blieb leer, denn Wilkins Vater war zwar als teilnahmsloser Zuschauer bei der Trauungszeremonie zugegen gewesen, hatte sich nach deren Ende aber nicht wieder blicken lassen.
Wilkins Mutter hatte die gealterte Haut und die silbernen Strähnen in ihrem braunen Haar, die zu ihrem fortgeschrittenen Alter passten. Doch ihre großen blauen Augen, die in der Farbe denen von Wilkin und Richard ähnelten, hatten einen unschuldig kindlichen Ausdruck, der sie verletzlich wirken ließ. In eigenartigem Widerspruch dazu stand es, dass ihre Nase offensichtlich einmal gebrochen worden und entstellend schief verheilt war. Hedwig gab sich Mühe, sie nicht anzustarren, doch es gelang ihr nicht ganz. Dies war die Frau, die durch ihre Lügen Richards Leben zerstört hatte– die Frau, die ihrem Gemahl einen Erstgeborenen untergeschoben hatte, der nicht der seine war und den er, vielleicht aus einer Ahnung heraus, nicht liebte. Wie hatte sie das den beiden Männern und ihrem Sohn antun können?
Trotz aller Vorbehalte konnte Hedwig ihr Gesicht mit den ängstlich wirkenden Augen nicht betrachten, ohne leises Mitleid zu empfinden. Wer konnte sagen, ob diese Frau ihre Lügen nicht schon vielfach bereut hatte? Und immerhin hatte sie ihrem Gatten getrotzt, um an der Vermählung ihres Ältesten teilzunehmen, wenn sie sich Wilkin gegenüber auch verhielt, als sei er ein Fremder. Margot musterte ihn, als fände sie ihn eher furchteinflößend als liebenswert. Doch wie sollte eine Frau auch für einen erwachsenen Sohn empfinden, den sie seit seinen frühen Kinderjahren kaum jemals zu Gesicht bekommen hatte?
Margot in die Augen zu sehen gelang Hedwig nicht ein einziges Mal. Die ältere Frau blickte stets fort, an ihr vorbei oder durch sie hindurch. Nach einer Weile gab Hedwig auf und vergaß anschließend beinah, dass sie dasaß. Zumal auch Wilkin nach dem ersten höflichen Wortwechsel nicht mehr mit seiner Mutter sprach. Ihn schien das nicht zu bedrücken, als sei er es nicht anders gewöhnt. Wie anders hatte Hedwig die Begegnungen zwischen ihrer Mutter und dem damals bereits erwachsenen Köne in Erinnerung. Es war ihr entfallen gewesen, wie offen ihr Bruder seine Liebe und Verehrung für ihrer beider Mutter stets gezeigt hatte.
Mit Wehmut stellte sie sich vor, wie anders ihre Hochzeit sich für sie angefühlt hätte, wären ihre Eltern um sie gewesen. Doch sie mahnte sich, nicht undankbar zu sein. Wenigstens ihr Onkel hatte sich an diesem Tag zusammengenommen, nicht zu viel getrunken und sich ehrlich bemüht, wohlwollend
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