Die Bogenschützin: Roman (German Edition)
Freundin.
Hedwig ergriff ihre Hand und drückte sie. » Ich wollte früher kommen. Aber der Weg war weit.«
» Sie heißt Juliana. Das hätte Adam gefallen. Er wäre stolz auf sie gewesen. Ein Lied hätte er für sie erfunden. Hast du sie dir angesehen?« Irinas Stimme war so schwach und gebrochen, dass Hedwig sich zu ihr beugen musste, um die Worte zu verstehen.
» Ja«, erwiderte sie, » sie ist wunderschön. Irina, wie geht es dir? Möchtest du etwas trinken oder…«
» Ich weiß nicht, wo meine Harfe ist. Das ist nicht gut. Wie soll ich uns denn ernähren, wenn ich nicht Harfe spielen kann? Weißt du, wo sie ist?«
» Gewiss ist sie in deinem Gepäck. Aber du musst euch nicht ernähren. Ich nehme euch mit nach Ofen. Dort wird es euch gutgehen.«
» Kannst du sie mir geben?«
» Deine Harfe?«
» Nein. Meine Tochter. Adams Tochter.«
Adams Tochter. Sie sagte es in so bestimmtem Tonfall, als müsste sie deutlich machen, dass sie keinen Widerspruch duldete– nicht einmal von sich selbst. Und im Grunde war Hedwig froh, dass Irina einen Weg gefunden hatte, sich die Last ihrer ungewollten Mutterschaft ein wenig leichter zu machen. War es Adams Kind, musste sie sich nicht fragen, ob sie es lieben konnte.
Unbeholfen hob Hedwig die kleine Juliana aus ihrem Körbchen und legte sie in Irinas Armbeuge. Ihre Freundin entspannte sich sichtlich und schloss die Augen, unternahm aber nichts, als ihre Tochter immer lauter ihren Unmut äußerte. Bevor Hedwig sich entschließen konnte, etwas für die Kleine zu tun, trat die zweite junge Mutter aus dem hinteren Teil der Höhle heran, hob sie auf und legte sie an ihre Brust, so wie sie es kurz zuvor mit ihrem eigenen Kind getan hatte. Irina ließ es ohne Widerstand zu, und Hedwig begriff, dass es schon eine Weile so gehen musste.
» Was kann man tun?«, fragte sie die Frau, zuerst auf Deutsch, dann auf Ungarisch.
Doch die schüttelte nur den Kopf. » Semmit. Nichts.«
Kindbettfieber. Hedwig kannte das Schreckgespenst aller gebärenden Frauen so gut wie jede andere. Noch während Hedwigs Gefühle sich gegen die Wahrheit aufzubäumen begannen, krampfte Irina sich stöhnend zusammen. Die anderen Frauen seufzten, einer der mageren kleinen Knaben hielt sich die Ohren zu.
Wenig später verstand Hedwig, warum. Irina litt entsetzlich, und es gab in der Tat nichts, was jemand dagegen tun konnte. Sie versuchte, ihr wenigstens Trost zu spenden, doch nichts, was sie tat, schien auch nur in Irinas Bewusstsein zu dringen. Bald fühlte sie sich so zermürbt von der Qual ihrer Freundin, dass sie gern die Flucht ergriffen hätte, und ihr kamen die Tränen.
Erst als sie sich für einen Moment abwandte, bemerkte sie ein älteres Paar, welches hinter ihr die Höhle betreten hatte. Beide nahmen geflochtene Kiepen von ihren Rücken und stellten sie auf den Boden, ohne sie dabei aus den Augen zu lassen. Sie waren beide hager und zerlumpt, der Mann hatte schütteres, graues Haar, einen ebenso schütteren kurzen Bart in seinem pockennarbigen Gesicht und eine mit fleckigen Lappen verbundene Verletzung an einem Arm. Sein Weib blieb gebeugt, auch nachdem sie ihre Last abgesetzt hatte, und bewegte sich hinkend mithilfe eines Krückstocks. Sie kam zu Hedwig herüber und beugte sich forschend über Irina. » Wär gut, wenn’s bald vorbei wär. Geht schon Tage so. Ist nicht barmherzig, der Dämon, der die Weiber im Kindbett frisst.«
Hedwig holte mit einem Schluchzen Atem. » Gibt es keine Hoffnung?«
Die Hinkende zuckte mit den Schultern. » Hab noch keine wieder aufstehen sehen, die es so hatte wie diese.«
» Aber es wäre möglich?«
» Woher soll ich das wissen? Unser allmächtiger Herrgott allein weiß so was. Borbála hat gesagt, dass du vielleicht kommen wirst. Hast du dir etwas zu essen mitgebracht? Ich will es hoffen.«
Nach Essen war Hedwig nicht mehr zumute. Lächerlich, dass die Frau gerade jetzt daran dachte. » Borbála? Wo ist sie? Und was ist mit meinem… mit ihrem Freund, dem Rothaarigen? Kennst du ihn?«
» Sie sind mit den anderen, die gesund genug waren, zu unserem heiligen Heer gezogen. Ihr, die ihr Krieger Gottes seid… Da hatte die da noch einen dicken Bauch.«
» Seid ihr also alle Hussiten?«
» Jan Hus hat die Wahrheit verkündet, an die wir glauben, und dafür haben eure hohen Herren ihn umgebracht. Und als damals der deutsche Henker in Kuttenberg es müde wurde, Hus’ Anhänger zu henken, da warf man sie hinab in die Silberminen, um sie zu morden. Da wollen
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