Die Bogenschützin: Roman (German Edition)
seine vorgestülpte Unterlippe ein und verkniff verärgert das Gesicht. » Sehr wohl.«
Wenig später ließ Wilkin sein Pferd langsam hinter dem rumpelnden Ochsenwagen hertrotten, auf dem Ritter Eckhart zur letzten Ruhe fuhr. Zumindest bis der Knecht sich auf dem Bock zum fünften Mal nach ihm umgedreht hatte, mit so demütigem Lächeln, als wolle er unbedingt angesprochen werden. Wilkins Ungarisch war inzwischen gut genug, um ein einfaches Gespräch führen zu können, und da vielleicht die Möglichkeit bestand, hier unentgeltlich etwas Nützliches zu erfahren, trieb er schließlich sein Pferd nach vorn, um neben dem Bock zu reiten.
Der wagenlenkende Knecht lächelte und nickte Wilkin mehrmals unterwürfig zu.
» Was gibt es denn? Hast du mir etwas zu sagen?«, erkundigte Wilkin sich auf Ungarisch.
Wieder folgte emsiges Nicken, bevor der junge Mann sprach. » Hat heute ein fremder Ritter nach Euch gefragt, hoher Herr. Habe es von der Küche aus gehört. Und er sagte, Ihr solltet nicht wissen, dass er gefragt hätte. Und dafür hat er gezahlt. Und dann hat der Wirt ihm von dem Weib erzählt, das heute da war und das so aussieht wie das, nach dem Ihr gefragt habt. Danach ist er den Weg geritten, den das Weib gegangen ist. Schenkt Ihr mir ein paar Münzen dafür?«
Wilkin entfuhr ein so lästerlicher Fluch, dass er froh sein musste, von dem Knecht nicht verstanden zu werden.
Obwohl Hedwig so schnell lief, wie sie konnte, verschwand das galoppierende Pferd mit Ludwig von Torgau rasch außer Sicht und erreichte den Waldrand lange vor ihr. Ihre Seiten stachen, und die Lunge brannte ihr, als sie etwas abseits des ausgetretenen Fußpfades zwischen Holunderbüschen und Brombeerranken hindurch in den Wald stob.
Ohne innezuhalten, hetzte sie auf einer Abkürzung durch den lichten Hudewald, dann durch dichteres Unterholz. Ein Stück vor ihrem Lagerplatz wurde sie langsamer und vorsichtiger. Zwischen den Geräuschen des Waldes war ihr eigener keuchender Atem das Lauteste– bis ein schriller Frauenschrei erklang, der jäh wieder erstickte. Mit der Schnelligkeit eines Gedankens nahm Hedwig den Bogen von der Schulter und einen Pfeil aus ihrem Köcher, bevor sie erneut losrannte.
Ludwig von Torgau presste die leise wimmernde Mara gegen einen Baum und hielt ihr ein Messer an den Hals. Ein Stück entfernt tobte Tiuvel aufgebracht und zerrte an seinem Anbindeseil, um dem Grauschimmelhengst des Ritters beizukommen, während die beiden Säuglinge gefährlich nah bei den stampfenden Hufen des Grauen auf dem Boden lagen, dessen Zügel über einen Ast geworfen waren.
Hedwig hatte vor zu drohen und ihren Schwager durch einen Zuruf von Mara abzubringen, doch dieses Mal hatte sie sich nicht genügend unter Kontrolle. Ihre Hände zitterten, und statt den Bogen im Auszug zu halten, löste sie unabsichtlich den Pfeil.
Sie traf Ludwig von Torgau an der wohl tödlichsten Stelle links im Rücken, auf der Höhe des Herzens, und ihr Pfeil durchdrang seine leichte Reiserüstung auf die kurze Entfernung mühelos. Ludwig wurde durch den Aufprall nach vorn gestoßen und verletzte Mara dabei mit dem Messer am Hals.
Von seinem Blut war noch nichts zu entdecken, doch Hedwig sah, wie Maras Hals und Brust sich plötzlich rot färbten. Die Amme sank zu Boden, während ihr Angreifer noch auf den Füßen stand. Er drehte sich zu ihr um und sah sie mit einem Blick an, der Verwunderung ausdrückte. Dann sackte er wortlos in sich zusammen.
Hedwig blieb keine Zeit, ihren Schrecken zu bewältigen, denn nun schrie eines der Kinder los wie am Spieß, weil der fremde Hengst es tatsächlich getreten hatte. Das Pferd scheute im selben Augenblick zurück, wie Hedwig vorstürzte. Um Haaresbreite hätte das Tier sie niedergetrampelt, doch sie schaffte es an ihm vorüber, riss die Kinder an sich und wich mit ihnen aus.
Inzwischen hatte Tiuvel sich losgerissen und ging auf seinen im Grunde unschuldigen Widerpart los, als hätten alle Dämonen der Hölle sich auf einmal den Lagerplatz der Frauen als Festwiese ausgesucht. Hedwig ließ die kämpfenden Pferde Pferde sein und hastete mit ihrer kostbaren und schreienden Last zu Mara, die bereits wieder zu sich kam. Die Amme blutete so stark, dass ihre Wunde nicht genau zu erkennen war. Da Ludwig sich nicht mehr regte, wagte Hedwig es, die Kinder wieder nah bei ihrer Seite abzulegen, um Mara helfen zu können. Angstvoll riss sie sich ihr Kopftuch herunter und presste es dorthin, wo sie die Quelle des Blutes
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