Die Bogenschützin: Roman (German Edition)
bekannt war, die Wahrheit ans Licht zu locken. Sie konnte nur hoffen, dass sein Wort bei Sigismund und seinen Ratgebern Gewicht hatte.
Wilkin kam den ganzen Tag über nicht herunter, sondern blieb in der Schlafkammer. Als Hedwig einmal nachsah, lag er bäuchlings im Bett, hatte seinen Kopf unter einem Kissen und seinen Armen vergraben und schien zu schlafen. Geräuschlos zog sie sich wieder zurück.
Helmwart und die anderen Wachen wurden um die Mittagszeit von Männern abgelöst, die ihre Posten ungefragt draußen vor den Türen einnahmen und keinerlei Neuigkeiten berichten konnten oder durften.
Schon im Laufe dieses einen Tages ergriff Hedwig nach und nach die Abscheu davor, eingesperrt zu sein. Während sie Juli beschäftigte und sie davon ablenkte, dass sie das Haus nicht verlassen durften, hatte sie Mühe, ihre eigene Unruhe im Griff zu behalten. Noch schlimmer wurde es am nächsten Tag, als weiterhin keine Nachricht vom Hof eintraf, Juli langsam unleidlich wurde, Mara unter Bewachung Lebensmittel einkaufen musste, ohne dafür bezahlen zu können, Wilkin noch immer nicht die Schlafkammer verließ und mit niemandem sprach. Wie ein gewaltiger Druck in ihrer Brust wuchs der Wunsch in Hedwig, ihren Bogen zu nehmen und ihr Pferd und zu fliehen, bis sie allein und frei im Wald war.
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Das Ordal
Z wei weitere Tage mussten sie alle aushalten, bis am Abend, kurz vor Einbruch der Dunkelheit, so kräftig an ihre Tür gepocht wurde, dass das Haus erbebte.
Hedwig, die in einer der oberen Kammern versucht hatte, Juli das Spinnen beizubringen, fuhr so hastig von ihrem Stuhl hoch, dass der Faden riss und die Spindel über den Boden rollte. Sie lief die Treppe hinunter und stellte fest, dass nicht einmal dieser laute Ankömmling Wilkin aus der Schlafkammer lockte. Seit er in der ersten Nacht dort auf dem Fußboden geschlafen hatte, teilte sie die Kammer nicht mehr mit ihm, sondern leistete nachts Mara und Juli in der ihren Gesellschaft, damit er das Bett für sich allein hatte.
Zu dritt standen die Wachen an der Tür, die einer von ihnen bereits geöffnet hatte, deshalb konnte Hedwig nicht gleich sehen, wer draußen stand.
Offenbar bemühten die Wachen sich, ihm klarzumachen, dass er seine Waffen ablegen sollte, wenn er ins Haus wollte. » Da! Und nun aus dem Weg!«, brüllte der Besucher ungehalten, bevor er hereinkam und die Männer beiseitedrängte, als wären sie Vieh.
» Waffen abgeben! Wovor haben sie Angst? Wilkin, du Lamm, wo bist du? Komm her und begrüß mich!«
Er wurde Hedwigs ansichtig, blieb stehen und schwieg kurz. » Ah, meine Schwester. Gott zum Gruß, Hedwig von Torgau. Wo ist dein Gemahl?«
Sprachlos bestaunte Hedwig ihren Bruder Köne. Sein Bart und seine Haare hingen ihm bis auf die Brust, seine Rüstung und seine Kleider darunter waren schmutzig und stanken, sein Helm hatte Beulen und Scharten, und eine Narbe neben seinem Auge verriet, dass er nur knapp dem Schicksal ihres einäugigen Onkels entgangen war.
» Was ist? Ist dir die Zunge am Gaumen festgewachsen? Oder sprichst du nicht mit mir, weil ich zu spät gekommen bin? Das könnte ich dir nicht verdenken, aber es ist ein verflucht weiter Weg aus der Walachei hierher. Einen Monat hat der Freund gebraucht, der mich holte. Und drei Wochen dauerte der Ritt hierher. Ich schwöre, wenn ich geahnt hätte, dass die Dreckskerle Dieter benutzen würden, hätte ich ihn nicht hierher zurückgeschickt.«
Sich an den einzigen Moment erinnernd, in dem ihr jüngerer Bruder sie seine verletzte Seele hatte ahnen lassen, fand Hedwig ihre Sprache wieder. » Warum hast du ihn zurückgeschickt? Er hat geglaubt, du hieltest ihn für nicht würdig, gemeinsam mit dir zu kämpfen.«
Köne sah sie verwundert an. » Hatte er das so verstanden? So hatte ich es nicht gemeint. Ich wollte, dass er seinen Ritterschlag noch bekommt. Und zwar nicht von einem walachischen Bauern. Verflucht sei der Tag, an dem Gerhardt von Schwarzburg das Licht der Welt erblickt hat. Was ist mit Wilkin? Kommt er, oder ist er aus dem Fenster geflohen? Der Teufel soll mich heute schon holen, wenn ich es zulasse, dass das Rabenaas von seinem alten Herrn und die Magdeburger Buschklepper noch mehr Schaden anrichten. Wilkin!«
Er brüllte so laut, dass Hedwig sich die Ohren zuhielt.
Zu ihrer Überraschung hatte er dieses Mal Erfolg. Wilkin erschien oben an der Treppe, das Hemd lose über nur halb hochgezogenen Beinlingen, den Bartwuchs von vier Tagen im hohläugigen Gesicht und die Haare
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