Die Bogenschützin: Roman (German Edition)
hatte, der ihm gegenüberstand, stützte die Hände auf die Tafel und erhob sich aus seinem Sessel. Sein Haar war wüst und grau, im Gesicht trug er eine Narbe, die ihm die Nase entstellte. Als er sich nun ganz aufrichtete, fühlte Hedwig, wie die Furcht in ihrem Magen zusammenfloss. Dieser Mann war noch gewaltiger gebaut, als ihr Vater es in ihrer Erinnerung war, und seine Gestalt strahlte die unberechenbare Angriffslust eines großen Raubtieres aus. Ihr wurde eiskalt, als sein Blick sie über die Köpfe der anderen Leute hinweg traf. » Nach vorn mit ihr«, sagte er so gelassen, dass Hedwig sich nur für ihre eigene Dummheit schelten konnte. Zumindest der Burgherr hatte längst gewusst, dass sie da war. Sie wirbelte herum, wich den Händen des ersten Mannes aus, der sie ergreifen wollte, lief, duckte sich, wand sich und hätte es beinah zur Tür geschafft, doch es waren zu viele Gegner. Zwei Männer packten ihren Umhang, rissen daran, zerrten ihr im Handgemenge die Kapuze vom Kopf und versuchten, ihre Arme in den Griff zu bekommen. Sie schlug mit ihrem Bogen als Knüppel und ihren Ellbogen um sich, bis Tristan ihr zu Hilfe kam. Er sprang einen der beiden an, verbiss sich in seinen Arm, brachte ihn zu Fall und verschaffte ihr so etwas Luft.
Sie ließ ihren Bogen fallen, zog die Messer und überraschte den zweiten Mann, indem sie sich ihm an die eisengeschützte Brust warf. Er packte sie mit beiden Armen und merkte zu spät, dass sie ihm ein Messer an die Kehle hielt. Das zweite hatte sie in der empfindlichen Achselhöhle platziert, eine der Stellen, die durch seine Rüstung nur ungenügend geschützt wurden. Mit einem kräftigen Ruck stieß sie die schmale, scharfe Klinge durch die Ringe des Kettenpanzers in sein Fleisch. Das würde ihm keinen ernsten Schaden zufügen, verdeutlichte ihm jedoch schlagartig, dass sie willens und in der Lage war, ihn zu verletzen.
» Verpass ihr eine Tracht Prügel«, hörte sie Gerhardt von Schwarzburg fordern.
» Sie hat ein Messer an meiner Kehle«, erwiderte ihr Gegner, der sie in seiner Verblüffung noch immer starr umarmte. Hedwig hörte Tristan knurren. Der Mann, den er zu Boden gerissen hatte, wehrte sich offenbar nicht mehr.
» Macht mir Platz!« Das war die Stimme des Burgherrn.
Hedwig konnte ihn nicht sehen und brachte den Mann, der sie festhielt, mit den Messern dazu, sich mit ihr zu drehen.
Zwei Schritt von ihnen entfernt blieb der Burgherr stehen. » Lass sie los, Cord, du Grützkopf.«
Zu Hedwigs Erstaunen brachte der » Grützkopf« Genannte es fertig, lautlos zu lachen. Sie spürte es am Beben seiner Arme. » Edler Graf«, sagte er mit etwas gequälter Stimme, » es mag so aussehen, als hielte ich sie fest. Die Wahrheit ist jedoch …«
Hände griffen grob von hinten in Hedwigs Gewand und rissen sie mit einem Ruck nach hinten, sodass sie das Messer verlor, welches noch in Cords Kettenhemd steckte. Diesmal bekam sie keine Gelegenheit zur Gegenwehr, sondern wurde von hinten umfasst wie von eisernen Ringen. Der Schweißgeruch ihres neuen Angreifers überflutete sie Übelkeit erregend.
Irgendwo im Raum stöhnte Adam laut auf. » Ihr Herren, habt Erbarmen. Sie ist eine verzweifelte junge Maid. Nur die Not hat sie… Au!«
Er verstummte, und Hedwig war dankbar dafür. Seine Fürsprache rührte sie zwar, doch diese Kerle würden sich gewiss nicht von ihm erweichen lassen, und da wollte sie lieber ihren Stolz bewahren. » Wagt es nicht, mir näher zu kommen«, sagte sie.
Cord, der sich inzwischen eine Hand in die verletzte Achselhöhle presste, lachte wieder, diesmal laut.
Der Burgherr dagegen sah Hedwig mit finsterem Blick an und nahm ihr das Messer so spielend leicht aus der bewegungsunfähigen Hand, als hätte sie es gar nicht festgehalten. » Weißt du, wer ich bin?«, fragte er sie mit grollender Stimme.
Sie hob so stolz den Kopf, wie es in ihrer misslichen Lage möglich war. » Nein. Aber ich weiß, wer ich bin. Ihr habt kein Recht, mich festzuhalten.«
» Nicht? Ich höre, du bist mit zwei Betrügern unterwegs. Du bist ein fahrendes Weib, das seine Stellung in der Welt nicht kennt und in seiner schmutzigen Unverfrorenheit Männer bedroht, die weit über ihm stehen. Eine bissige Hündin. Was glaubst du, für ein Recht gegen mich zu haben?«
In Hedwig kochte der Zorn, doch sie beherrschte ihre Tränen. » Das fahrende Volk, das mir bisher begegnet ist, benahm sich aufrichtiger als die Herren von Stand und war zudem unterhaltsamer. Mir scheint, die Herren
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