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Die Bogenschützin: Roman (German Edition)

Die Bogenschützin: Roman (German Edition)

Titel: Die Bogenschützin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Sophie Marcus
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sie treffen wollte, und anlegte, existierte nichts mehr außer diesem Punkt und dem Pfeil. Sie selbst wurde zum Pfeil und flog.
    Die Menschen auf dem Hof murmelten enttäuscht. Ihr Pfeil steckte im obersten Rand des Ziels, nur knapp hatte er die Scheibe nicht verfehlt. Ungerührt legte sie den nächsten auf. Ihre Zuschauer stöhnten mitleidig, als er ebenso knapp wie der erste diesmal den unteren Rand der Scheibe traf.
    Nach dem dritten Schuss legte sich das unruhige Stimmengewirr nicht mehr. Dieses Mal steckte der Pfeil ganz am rechten Rand der Scheibe, und die Zuschauer begannen das Interesse zu verlieren. Als der vierte jedoch am äußersten linken Rand traf, verstummten sie nach und nach wieder.
    Hedwig lächelte, nahm einen fünften Pfeil und ging einige Schritte rückwärts. Ihr Zittern war verflogen, sie war sich ihrer selbst sicher. Der fünfte Pfeil traf die Scheibe aus zwanzig Schritt Entfernung in den schwarzen Mittelpunkt.
    Mit jedem Pfeil trat sie nun weiter zurück und zeichnete mit ihren Treffern ein Kreuz auf die Scheibe, so wie sie es unter Richards aufmerksamem Blick oft genug getan hatte. Den vierzehnten Pfeil behielt sie in der Hand. Die Leute jubelten, lachten und murrten, obwohl sie dergleichen ständig von anderen Schützen zu sehen bekommen mussten. Ein Junge brachte ihr mit roten Ohren ihre Pfeile zurück und vermied es dabei, sie anzusehen.
    » Sie soll etwas schießen, was sich bewegt!«, schrie eine Männerstimme.
    Zwei Knappen brachten die Quintana in Schwung, ein drehbares Gestell, an dem Säcke hingen, die als Ziele für die mit Lanzen übenden Reiter dienten. Eilig rannten die beiden in Deckung, sobald die Quintana sich schnell genug drehte. Hedwig traf die ruhig dahinschwebenden Säcke mühelos. Man befestigte kleine Tuchfetzen daran, und auch diese verfehlte sie nur ein Mal von zwölf. Solche Spiele waren kein Vergleich zu einem aufspringenden Hasen.
    » Aufhören!«, sagte Gerhardt von Schwarzburg mit eisiger Stimme. » Ich sehe voraus, dass ich meine Genugtuung nicht erhalte, wenn Ihr Euch mit so einer faden Lustbarkeit begnügt. Sie soll uns etwas wirklich Beachtliches zeigen, wenn Ihr auf Eurer Absicht beharrt.«
    » Und das wäre?«, fragte Graf Ebeling, der sich offenbar weiterhin gut unterhalten fühlte.
    » Stört Euren Taubenschwarm auf und lasst sie zwei, drei Vögel herausschießen.«
    Damit hatte er in der Tat eine Herausforderung gewählt, die nicht leicht zu meistern war. Tauben waren klein, und im Gewirr ihres Schwarms war es schwierig, ein bestimmtes Tier als Ziel im Auge zu behalten.
    » Das gilt. Drei Tauben also: eine für den Spielmann, eine für dessen Weib und eine für die Jungfer selbst«, sagte Graf Ebeling.
    Das runde Taubenhaus ruhte auf einem Mast, der neben der Hoflinde aufragte. Ein Stallknecht stieg mit einer Stange ausgerüstet die Leiter empor. Er musste nachdrücklich gegen das Holz schlagen und lärmen, um die fetten, halb zahmen Tauben noch einmal aus ihrer Abendruhe aufzurütteln. Doch als der Schwarm einmal munter war, erschienen die Vögel aus allen Öffnungen des Schlages gleichzeitig und erhoben sich wie eine Wolke in die Luft. Hedwig hatte ihre Aufmerksamkeit nur auf eines der kleinen Tore gerichtet und traf ihre erste Taube, bevor diese im Gewirr der anderen verschwand. Schon mit der zweiten hatte sie Schwierigkeiten, denn die Entfernung wuchs rasch. Sie zielte und schoss, verfehlte, legte einen neuen Pfeil an und traf statt des Vogels, den sie anvisierte, einen anderen. Der Schwarm entfernte sich rasch aus der günstigen Schussweite, und die Eile machte sie fahrig. Ein weiteres Mal verfehlte sie. Inzwischen waren die Vögel nur noch kleine Flecken über der Burgmauer und die Aussicht, einen weiteren von ihnen zu treffen, verschwindend gering.
    In ihrem Ärger über ihr Versagen vergaß Hedwig abermals ihre Vernunft. Sie pfiff schrill und lief mit ihrem Hund zur Seite los zum Tor, als ihr Habicht abbaumte und sich an die Verfolgung der Tauben machte.
    Verblüfft ließen die Leute sie durch und folgten ihr hinaus auf die Wiese zwischen Burg und Stadt, wo sich Isolde eben mit einer geschlagenen Taube niederließ. Tristan hatte sie bereits erreicht und zeigte Hedwig die Stelle an. Geschwind nutzte sie ihren Köcher, um das Habichtweibchen dazu zu bringen, von seiner Beute auf ihren Arm umzusteigen. Dann hob sie mit der freien Hand die dritte tote Taube hoch über ihren Kopf und zeigte ihren Sieg an, als hätte sie nie etwas anderes vorgehabt,

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