Die Bogenschützin: Roman (German Edition)
finde. Mit etwas Glück bringe ich dir morgen auch deine Pfeile zurück. Falls du bis dahin brav warst.« Er grinste sie kurz so spöttisch an, wie er es früher oft getan hatte.
Sie lächelte mühsam, um ihm zu danken. » Scher dich weg.«
Hedwigs Erwartung, im Zelt erst einmal aufatmen zu können, wurde sogleich zunichtegemacht.
Ein junger Knappe saß dort, sein Gesicht schuldbewusst. Es war zu erkennen, dass er sich am Inhalt der Truhen zu schaffen gemacht hatte.
Wilkin, der eben noch dem kurfürstlichen Dienstmann bedeutet hatte, draußen Wache zu stehen, griff nach der Mittelstange, die das Zelt stützte, als müsse er sich festhalten. » Dieter? Was zum Teufel machst du hier? Ich hatte dir gesagt, dass du bei den Pferden bleiben sollst.«
Dieter schluckte und sah keinem von ihnen in die Augen. » Mit meiner Zeit bei Euch wird es bald vorbei sein. Ich wollte von meinem Onkel hören, ob er einen besseren Platz für mich weiß.«
Hedwig hängte ihren Bogen an seine Stelle am Zeltgestänge, ohne ihn abzuspannen. » Und dazu wühlst du in seinen Truhen? Ist das der klügste Anfang für so ein Gespräch? Warum glaubst du, dass du nicht bis zu deiner Schwertleite bei Wilkin bleiben wirst? So wäre es doch das Beste.«
Dieter schnaubte verächtlich und warf mit einer heftigen Bewegung einen Handschuh zurück in die offene Truhe. » Was verstünde so ein Weib wie du wohl davon?«
Bevor Hedwig etwas darauf erwidern konnte, hatte Wilkin einen Schritt auf den hockenden Fünfzehnjährigen zu gemacht und ihm mit der flachen Hand einen Schlag gegen den Hinterkopf gegeben. » So sprichst du nicht mit einer Edelfrau, und sei sie auch deine Schwester.«
Dieter sprang auf und floh aus seiner Reichweite. » Schwester? Eine Schande ist sie. Mir wäre lieber, sie wäre nie wieder aufgetaucht. Ich hasse sie.« Damit stürmte er aus dem Zelt, das Anliegen an seinen Onkel offensichtlich vergessen.
Hedwig setzte sich auf eine der verschlossenen Truhen und vergrub den Kopf in ihren Händen. Irina verließ das Zelt durch den hinteren Ausgang in Richtung der Gesindeunterkunft, kehrte jedoch gleich darauf mit vier biergefüllten Tonkrügen zurück. Hedwig und Wilkin nahmen die ihren dankend an. Einen reichte Irina dem Mann hinaus, der Wache stand, dann setzte sie sich neben Hedwig und sank in sich zusammen. » Auch wenn es nicht klug war, was du getan hast, so muss ich dir danken. Es tat so gut zu sehen, wie viel Angst die Kerle hatten. Ich hoffe, dass ich mir die Erinnerung an diesen Anblick für immer bewahren kann.«
Wilkin stand ratlos wirkend vor ihnen, den einen Daumen in seinen Schwertgurt gehängt, in der anderen Hand den Bierkrug. Hedwig richtete sich wieder auf und sah ihm in die Augen. » Ich möchte Euch nicht beleidigen, aber Euer Bruder und Gerhardt von Schwarzburg haben Schlimmeres verdient als nur Angst.«
Verlegen rieb er sich mit der freien Hand den Nacken und vergaß seine Förmlichkeit. » Wem sagst du das? Wenn ich nicht wüsste, dass du später darunter gelitten hättest, dann würde ich mir wünschen, du hättest meinen Bruder tödlich getroffen. Wenn Cord Erfolg hat, wird morgen ganz Brandenburg wissen, dass Reinhardt ein Verräter der übelsten Art ist. Glaub mir, ich würde den kommenden Tag lieber nicht hier erleben.«
Er wirkte so traurig und müde, dass Hedwigs eigene Sorgen in den Hintergrund rückten. » Es muss furchtbar sein, davon zu wissen und nichts tun zu können. Wenigstens musst du nicht fürchten, dass der Kurfürst dir seine Gunst entzieht. Gräfin Elisabeth hat mir erst heute eindringlich geschildert, wie hoch er dich schätzt.«
Wilkin verzog die Mundwinkel zu einem kümmerlichen Lächeln. » Darauf bin ich stolz. Dennoch halte ich es für unwahrscheinlich, dass er mich behandeln wird, als hätte ich nichts mit der Angelegenheit zu tun. Ich kann seine Entscheidung nicht voraussehen.«
» Nun verstehe ich völlig, warum du so bedrückt bist. Sich alldem aufrecht zu stellen, halte ich für sehr mutig. Hast du tatsächlich auch weiterhin vor, übermorgen im Turnier anzutreten?«
Er zuckte mit den Schultern. » Solange man es mir nicht untersagt oder mich vorher fortschickt, werde ich mich nicht davor drücken. Das wäre sonst, als würde ich eingestehen, dass meine Ehre Schaden genommen hat.«
Mehr denn je sah Hedwig Richard in ihm, dem seine Ehre wegen der Ränke einer verlogenen Frau durch Hedwigs eigenen Vater abgesprochen worden war. Richard hatte das so sehr getroffen, dass er
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